Bembelherz

Opa Hesselbach war sein Berufsleben lang beim alten Ankermann in der Regel- und Messtechnik beschäftigt. Er brachte da auch einen Sohn unter. Meinen, so hieß es, dämlichen Vater. Der Radfahrer schied auf einer privaten Hessenrundfahrt für immer aus. „Herzinfarkt am Berger Hang: Zum letzten Mal hat sich der Amateur Hannes Hesselbach zu viel vorgenommen!“ So stand es geschrieben auf einer Mauer zur Ermahnung der Lebenden. Nach der Beerdigung zog meine Mutter mit mir in ihr Schwiegerelternhaus. Da lebte ihre Schwester unter anderen Verwandten.

Brüder hatten Schwestern geheiratet. Die Schwester meiner Mutter war „die Franz“, für mich selbstverständlich „Tante Franz“. Den Taufnamen hatte sie an ihren Mann verloren, der außerdem Adolf hieß. Man hielt Franz ohne Bindestrich Adolf Hesselbach für einen maßlosen Menschen. Zum Spaß nannten wir ihn Onkel Führer. Der Führer moussierte im Familiären. Er schnurrte förmlich. „Fehlte eins“, blies er traurig in die Backen.

Meine Mutter trug über die Zeit Trauer. Die schwarzen Kleider waren eine Tracht, zu leiden lag ihr fern. Zumal mein Vater „unter lächerlichen Umständen die Luft ausgegangen war“. Als Mädchen war sie „mit dem Führer liiert“ gewesen, sie hatte ihn an die Schwester „abgetreten“. Unumstritten war, dass „die Franz“ den besseren Hesselbach geheiratet hatte. Nämlich den Hesselbach, der zu leben verstand. So lernte ich den Unterschied zwischen nämlich und dämlich.

An einem betrunkenen Abend beschrieb mir meine Mutter den Onkel als Salamander unter Laubfröschen. Das klang verliebt in meinen Ohren. Meine Mutter hieß Eva, da boten sich noch mehr Führerscherze an. Die Führerscherze gehörten zur häuslichen Gemütlichkeit in gebotener Heimlichkeit.

In den Geschichten des Onkel Führers taucht das Dritte Reich als rigoroses Landschulheim auf. Franz Adolf wurde wegen Sportlichkeit, jedenfalls konnte er sich keinen anderen Grund denken, an eine Nationalpolitische Erziehungsanstalt „delegiert“. Da verpasste man ihm „eine Gardeausbildung“ … ihm und anderen zum weltweiten Einsatz vorgesehenen Gauleitern in spe.

Der Cousin spielte Geige und behauptete an manchen Tagen, „ein Ausrutscher“ seiner Mutter mit dem Börsenlehmann zu sein. Der Lehmann war Rheinländer, machte aber auf Hesse und war ständig im Volkstheater als triefender Handkäse. – Ein Heumacher von einem Handküsser. Die Hesselbachen leimten auf jedem Schleim, sie kannten nur die Bütt. Die Lebensfreude hatte sie verdonnert und verdonnerte dann auch einen Brummkreisel der nächsten Generation: Tantes Tochter Valerie in ihrer närrischen Eigenliebe.

Valeries Familiensinn trudelte in Übertreibung. Auch der Bruder protestierte wenig. Er ließ sich herrichten und mitschleifen, als dem Babba Hesselbach sein goldischer Bubb. Der Nachwuchs wurde alle Zeit wie bei einem Dressurwettbewerb vorgeführt bei jeder Matinee im Hessischen Rundfunk und sämtlichen Premieren in der Komödie oder in dieser zoologischen Heinz Remondklitsche. Man bläute uns mit Bedeutung, bis sie allen zu Kopf gestiegen war – und ich anfing, dem Rathaus Ratschläge zu erteilen.

Die Kindheit ging über die Bühne, Valeries Verwandlungen nahmen das Ende vorweg. Mit fünfzehn strebte sie den kühlen Schick und schlampige Varianten in ständigem Wechsel an. Sie diskutierte ihre Beine und sämtliche Gesäßformen. Sehr kritisch konnte Valerie werden, wenn es um Konkurrenz in der Nachbarschaft ging. Dem Abfälligen und Zotigen gewann sie erste Preise ab. Zuerst kriegte sie der junge Ankermann alias Mogli. In unserem Bund fürs Leben war er Dritter.

Valerie hielt mich auf dem Laufenden. Ihre Erlebnisse brauchten Verdichtung. Das war Krisenmanagement. Gemeiner Trübsals Verweigerung zum Trotz trat bei Valerie eine Verstimmung auf. Der Grund dafür verbarg sich und war doch ganz schlicht. Ankermann passte Valerie nicht und die Jungen en passant passten auch nicht. Aber woher hätten wir das wissen sollen. Das Zufällige meiner eigenen Versuche bot keiner Einsicht Raum. Ich tappte genauso im Dunklen wie Valerie – und Ankermann, der in nächtlichen Vorgängen mit meiner Familie verschmolz.

Ankermann Leute hatten ein überdachtes Fünfzigmeterbecken, das gab es sonst nicht in Frankfurt. Das Bad lag im Hinterland des Ankermann´schen Anwesens im Holzhausenviertel. Ankermann trainierte mit persönlichem Schwimmlehrer, über den Mann sind Lieder geschrieben worden. Wir nannten ihn „das rauchende Wrack“.

Der Cousin ging als Babu unter die Leute, Babu leitete sich von „dem Babba sein Bubb“ ab. Auch der klangvolle Name seiner Schwester hatte sich im nachtragenden Volksmund verloren. Man verballhornte ihn, steigerte sich hinein und verstieg sich bis zur „die Hexe Hesselbach“.

Die „Hexe Hesselbach“ brachte ein unerhörter Verehrer in Umlauf. Der Verliebte schrieb „Hier wohnt eine Hexe!“ an die Hesselbach´sche Fassade. Ferner malte er „Valerie ist eine Hexe“ mit brennenden Buchstaben an eine Wand der Stalburg. Von jeher war die Apfelweingaststätte „Zur Stalburg“ das zweite Wohnzimmer der Familie Hesselbach.

2 Kommentare

  1. Liebe Grete,
    was ein schönes Stöffsche! Gehört zum Mittagessen wie ein-zwei Bembel Ebbelwoi. Mir verschwimmts – wie gut, dass die Schrift so groß ist 🙂 Machens weiter – dann werd ich zum noch zum Schobbepetzer!

  2. wie wenn dir jemand auf die schulter klopft: immer noch nicht leer geschrieben, liebe grete? na ja, mit nachdenken über Uns selbst haben wir alle mal angefangen.
    aber was

    Ist Literatur!

    leichte brühe? klare soße? oder ander so kram?
    hotel savoy auf dem weg von königsberg nach paris?
    der letzte becher, geleert von einem

    Niemand, universaler
    Nichtautor der liebe?

    oder nix, nix von alledem?

    Liebe Grüße,
    Dein leser

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