Archipel der Anarchie IV

Der Wald

Oder,

wenn Tiere Horrorromane schreiben würden

„Als die Tiere sich erhoben und anfingen sich ihrer Herren schmerzlich zu entledigen, da sprachen sie mit einer Stimme und erfuhren, was echte Hingabe bedeutete“,

sagte B., als er den Lebensbaum erklomm, um nicht im Schein der fahlen Flügelsonne zu vergehen.

Ein Geist

§ 33

„Ich bin Geist – und heute bin ich eine Taube!

Ich erhebe mich gen Himmel,

durchdringe pfeilschnell,

schnabelwärts

den dichten Dunst des domestizierten Menschen,

gefangen in seiner Angst.

Felder und Weiden ziehen an mir vorbei,

doch ich vermag keinen Unterschied zwischen ihren

und den Heimen meiner Art zu erkennen.

Wir sind Spiegelbild ihrer Laune es sich gemütlich zu machen,

fern vom Dreck, makellos,

sich den Dreck unsereiner morgen für morgen auftragend,

um den eigenen zu vergessen.

Wir fühlen wie sie, kleiden uns wie sie, erziehen unsere Kinder wie sie – und

doch sind wir Ding!“

§ 34

„Ich bin Geist – und heute bin ich eine Schabe!

Ich krieche im Schlund der Maschine.

Manche flüstern unseren Aufstand herbei.

Was bleibt vom Menschen über, wenn er fällt,

vom Schorf bedeckt,

nicht minder mehr bloß Kreatur im Geiste ist?“

§ 35

„Ich bin Geist – und heute spaziere ich im Wald!

Der Mensch ist Schande und Auswurf dessen,

was er versucht einzugrenzen und zu unterwerfen.

Gleicht der Mensch dem Wald, so gleicht dieser nicht ihm,

doch der Mensch hat es vergessen,

denn die Hölle; das sind nicht die Anderen,

sondern die Gleichen!

Es wird der Tag kommen, da die Winkelspinne Gericht hält und die Feldmaus

nicht mehr weinen braucht.“

Eine Trauer

§ 36

Heute ist der Tag nach gestern

und der Tag vor morgen,

wenn wir das beabsichtigen zu tun,

was wir gestern erst ersponnen,

aber heute nie begonnen.

§ 37

Heute ist der Tag an dem wir das zu Grabe tragen,

was wir gar nicht erst begangen haben,

weil wir doch schlicht die Zeit, die Kraft nicht finden,

da wir nicht mal suchen,

sondern uns im gestern winden,

um im morgen zu ertrinken.

§ 38

Heute ist der Tag an dem wir aufgegeben haben,

was wir nicht einmal gewonnen,

denn wenn wir glauben zu meinen,

dass wir den einen, den wir heute nennen,

gestern noch als morgen,

aber heute schon als gestern kennen.

§ 39

Heute ist zeitlos, eine Plastikrose im All.

Heute ist Verfall

§ 40

Die Anarchen ehren die Bäume und das leise Rascheln ihrer Blätter.

Auf jedem Grab erwächst ein Neuer. So schließt sich der Kreislauf ihrer Leben.

Denn wo die Toten ruhen,

da webt die Winkelspinne ihren Faden

und die Feldmaus schreibt sie ein, die Namen der Anarchen,

ins Buch der Geschichte,

wenn sie an den Wurzeln der Weltenwende nagt.

K4rlml0n
Karim (Abdul Absolem Alhazred) lebt seit fünfundzwanzig Jahren auf dieser Welt. Seine Jugend und Kindheit verbrachte er auf Reisen durch den europäischen Kontinent. Israel/Palästina ist und bleibt Sehnsuchtsort und Muse. Seit dem Jahr zweitausend-einundzwanzig studiert er Theologie und die Sprachen und Kulturen des Judentums. Er engagiert sich beruflich in der Vermittlung von Sprache und Bibel.

4 Kommentare

  1. Tief drin (im Brunnen) interessiert uns die Meinung der Außenwelt nicht – mehr sogar, sie darf uns gar nicht interessieren. Denn die Gespinnste des Brunnens sind so fein und störbar, jeder Sonnenstrahl kann sie vernichten. Deshalb dürfen wir tief drin nur eins: drin bleiben und weiter spinnen. Einfach tapfer weiter spinen/strampeln:

    1.) Die Seidenspinner:
    2.) Die Wespe im Wasserglas:

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert