Provinztheater

I

„Jeder Künstler hat doch was, ist irgendwie krank, das ist doch…“ Esther sah im Halbdunkel an sich herunter und fühlte, wie ihre Zunge taub wurde. Gesine drückte die Zigarette am Laternenpfahl aus und hinterließ eine Aschespur auf dem Metall. Sah sie mit engen Augen an.

„Ach, du immer mit deinen Scheiß Tbc-Krankheiten.“

Du mit deinen Scheißtbckrankheiten. Ihr Hals schmerzte. Asche auf Metall.

II

Esther hatte lange Toilette gemacht. Das Kleid mit dem William Morris-Muster in türkis, schwarz und smaragdgrün huldigte ihrer Sanduhrfigur. Sie schluckte. Öffnete den Medizinschank und nahm ein Fläschchen Opium heraus, legte es nach unten in die Handtasche. Der Schal um ihren Hals war dunkelviolett. Theater mit Gesine, das bedeutete, dritter Rang, Sekt unterm Sitz. Gesines Sprüche über die Provinz und ihre eigenen, ironischen Steilvorlagen würden das Ganze versüßen. Für einen Moment vergaß sie, wie matt sie sich fühlte, sah in den Spiegel. Es stand ihr. Das Fieberleuchten auf den Wangen.

Erst als sie saßen und Esthers Blicke über die Ränge schweiften, sah sie die beiden Männer. Damit hatte sie nicht gerechnet. Eduard erwiderte ihren Blick und winkte. Kurze Zeit später standen sie vor Esther und Gesine. „Ist neben euch frei?“ Vyvyan setzte sich und kam ihr gefährlich nahe. Das Licht erlosch und der Vorhang hob sich. Vyvyans Haare dufteten nach Vetiver, Eduards Schal roch nach Mann. Gesines helle Locken hatten Zitronenaroma. Sie sagte kein Wort zum Erscheinen der beiden Männer. Heimlich träufelte sich Esther etwas von dem Opium ins Sektglas, Vyvyan bemerkte es, runzelte die Stirn und hüstelte.

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

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