zerstörte türen.

Was aber fang ich an mit einem Schlüssel in der Hand, der zu einer demolierten Tür gehört. „Sie [die Erwartung] kennt den Inhalt der Verstecke, die sie nicht öffnen kann, und bewahrt die Schlüssel zerstörter Türen auf.“ Vielleicht giebt es keinen Menschen, der von alledem ganz frei ist. Vielleicht pflegt jeder Mensch auf seine ganz eigene Weise die Verletzungen, die er im Laufe seines Lebens erfahren hat. Und nur in dieser Pflege, in dieser Geheimhaltung findet er seine Identität. Die Verschliessung seines Ichs. In gewissem Sinne passt er also immer auf, dass nichts durchsickert. Er spioniert sich selber nach, unumgänglich. Er kann, er darf sich nicht öffnen. Denn dann wäre seine Identität, also sein letztes Refugium, ausgehöhlt. Seine Höhle aufgebrochen. Sein Uteruswille verletzt. Die Existenz geheimer Schlösser leugnen, ist sein Sprechen. Und dennoch liebt sie „die Verrücktheit, der sie dient“.

van hengel
Willi van Hengel: geb. 1963 in Oberbruch, hat Philosophie, Politik und Germanistik in Bonn studiert, Abschlußarbeit über Nietzsche und Derrida, anschließende Dissertation gescheitert, lebt in Berlin. Veröffentlichungen: Lucile (Roman, Berlin 2006), Morbus vitalis (Roman, Schweinfurt 2009), Wunderblöcke (Prosastücke, Schweinfur

6 Kommentare

  1. So, nun packt mal die „Psychologie heute“ weg und greift hier zum Text. Der schönste Satz hier für mich: „Sein Uteruswille verletzt“. Nur warum wird hier immer alles unter Gedichte gespeichert?

  2. Liebe/s Rapunzel, vllt. können Sie mir behilflich sein beim germanistisch wirksamen Bedeuten. Hier muss jemand vom Bahnhof abgeholt werden: was oder welches benennt, codiert der beschworene „Uteruswille“? Ein Unwort? Ein monstrales Monstrantum? Quod erat? verletzt?? Ich lege mich auf Ihre von Turmfeuchtigkeit zerschlissene Couch und erwarte tiefe Einschnitte zur Veränderung der geistigen Wetterlage.

  3. Der Uterus simplex ist dem gemeinen Primaten eigen – und somit auch Ihnen. Alles Leben strebt zunächst danach, aufgenommen zu werden in diese kuschelweiche Höhle, die sich – und passend zum Internationalen Frauentag darf ich das hier genüßlich aussprechen – nur und ausschließlich in der Beckenregion des weiblichen Menschen befindet. Aber das dürfte Ihnen aus dem Biologieunterricht der Primarstufe bekannt sein.
    Soweit also das Bahngleis. Kommen wir nun zum Zug an sich:
    Profan könne man sagen: Einmal Kind, immer Kind. Doch mit geringen Kenntnissen aus germanistischen Pro-Seminaren (Prof. Mattenklott?)darf man getrost dem Der Verfasser dieser Zeilen die Auffassung unterstellen, dass das Leben auch über der Geburt, über das physische Verlassen des Uteruses hinaus immer noch im Uterus gefangen ist. Ein tröstender Gedanke, finden Sie nicht auch?
    In der Hoffnung, dass Sie den Zug erreicht haben verbleibe ich mit freundlichen Grüßen!

  4. nun ja, erreicht schon, aber möglicherweise sitze ich ja im falschen… vllt. könnte der Verfasser des Beitrages ja selbst eine Deutung vorschlagen. Dann hätten wir eine auto(r)biotische Erleuchtung. Oder wir deuten das Schweigen und hüllen uns künftig in selbiges.

  5. letzte Deutung, aber bitte mit Kontext und nicht hermetisch: „denn“ (Conclusion von „er darf sich nicht öffen“) „dann wäre seine Identität (wessen?),also sein letztes Refugium, ausgehöhlt.“ Wort, das erst zum Uterus führt. Aber Identität ist erst ab utero möglich, also weg vom Uterus. Vor, zurück im Kreis? Nur eine Bewegung des wahnhaften Denkens – aber nicht denkbar ohne die Bindung an den Körper. Der Denker hat die platonische Höhle verlassen.

  6. Man könnte es auch als Anklammern bezeichnen. Jeder, der mal mit dem Regionalzug in der Nachmittagshitze durch Anklam gefahren ist, weiß, was ich meine.

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