Strandläufer

I

Ich habe die Strandläufer entdeckt: Es sind kleine Vögel, die an der Wasserlinie entlang rennen. Mit ihren dünnen Füßchen können sie unglaublich schnell rennen. Kommt eine Welle, fliegen sie nicht auf, sondern rennen ihr voran wie kleine Herolde, das Ende der Welle voraussagend. Sie tragen dieses Wissen in sich, die Wellen-Vorhersage.

Ich beobachte einen Strandläufer, der einer Welle entgegen läuft. Die Welle rollt ihre weiße Zunge auf dem ockerfarbenen Strand aus, der Strandläufer ändert die Richtung, rennt der schäumenden, gezackten Zunge voraus. Der Strandläufer scheint in Funkkontakt mit der Welle zu stehen, haarscharf läuft er an der Linie entlang, die sie in den Sand zeichnet. Die kleinen Füßchen scheinen wie Propeller unter seinem Körper zu rotieren.

Später treffe ich eine Gruppe von Strandläufern. Ziellos laufen sie herum, fliegen auf, finden keinen Funkkontakt zu den mächtigen Wellen, die von weit her gerollt kommen. Die aus ungeheurer Tiefe entstanden sind, aus der Erdbewegung, der Anziehung von Erde und Mond. Und die kleinen dummen Strandläufer haben keine Ahnung davon, sind wie die dummen Menschen, die ziellos herumlaufen und nichts mitbekommen vom kosmischen Funkkontakt zwischen Wellen und Strandläufer.

II

„Der Tag ist frisch!“, rufe ich in den Morgen hinein, in den feuchten Sand stapfend, am Strand entlang ausschreitend. Ich sammle Holz. Begegne Menschen, die wie ich früh morgens am Strand sind. Sie schauen mich freundlich an, grüßen, sie lachen mir ins Gesicht, sehen begeistert aus, strahlen, wenn ihr Blick auf mein Holzbündel fällt.

„Ja, ich mache Feuer hier!“, höre ich mich ins blank gewaschene Blau des Himmels rufen. Die Gesichter der Menschen sitzen auf Möwenleibern und fliegen über mich hinweg.

„Jeden Abend, sobald es dunkel ist, mache ich Feuer im Kamin“, rufe ich ihnen zu. „Der Rauch steigt aus dem Schornstein in die Nacht, und die Sterne läuten wie Glocken. Ich entzünde Bambus, Treibholz, kleingebrochene Zweige nehme ich zum Anfeuern. Palmenholz ist am Besten, um ein tolles Feuer in Gang zu bringen. Dann kommen die dicken Korkeich-Scheite hinzu. Die brennen die ganze Nacht. Eukalyptusholz riecht gut. Man kann auch die kleinen Kapseln des Eukalyptusbaumes dazuschmeißen. Sie enthalten das ätherische Öl. Und dann die Nase hineingesteckt in den Kamin und das Gesicht über die Glut gehalten – wie wunderbar es riecht! Die Hitze steigt in meine Atemwege. Sie macht mich zu einem glühenden Holzscheit. Zum Schornstein hinaus mit den dunklen Gedanken! Hier gibt es nur große Wolken, Winde, Wetter und Wellen! Wettermächte, die sich unter dem hohen Himmel zum fairen Kampf versammeln. Sich stellen. Nicht feige sind. Eins zu eins wird gekämpft, und wer gewinnt, triumphiert! Der Gegner aber zieht sich vornehm zurück. Jeder Tag hier ist frisch und neu, und der Himmel ist immer hoch.

So laufe ich am Strand entlang, klein und dunkelhaarig wie die Menschen von hier, ein Holzbündel tragend, an den Frühsportlern vorbei, den Fischern, den Möwen.

Ich renne auf eine herannahende Welle zu, sie wird größer, steigt, bricht, fällt und rollt mir nun ihre schäumende Zunge entgegen. Ich ändere die Richtung, laufe ihr voraus auf den ockerfarbenen Sand, landeinwärts. Der weiße Zungenrand zeichnet sich in den Sand hinein, und ich laufe mit, habe Wellenfunk, sende, empfange und rufe: „Welle ahoi! Strandläufer, Strandläufer, Strandläufer!“

evawal
geb. 1966 in Hamburg, Ausstellungen, Lesungen und Konzerte, Klang- und Rauminstallationen, Video, Film, Performances. Lyrik, Prosa und andere Abenteuer. www.evawal.blogspot.com

Ein Kommentar

  1. Heute, genau heute, saß ich am Strand und sah den Himmel so hoch – jetzt, in der Dämmerung daheim mit Tee, scheint es, als wären Sie auch da gewesen. Und so nehme ich die Worte mit für morgen.
    (…siehe Kommentar „Coccolithophroide“.)

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