Das Testament der Gräfin Ulrike – Kapitel 8

Das Testament der Gräfin Ulrike, Kapitel 8

Die Gräfin war nicht zufrieden mit ihrer neuen Nichte. Die machte sich nicht nützlich, lag den ganzen Tag in ihrem Zimmer herum, rauchte die kostbaren alten Tapeten voll, und abends zog sie über Marietta und Joshua her oder langweilte mit Gesprächen über irgendwelche Fernsehstars.Nach ihrem Vater, dem Grafen Eduard, kam sie jedenfalls nicht.

Mitunter kamen der Gräfin Zweifel, ob diese Daniela wirklich ihre Nichte war und nicht etwa eine Schwindlerin. Doch die Papiere, die Daniela ihr vorgelegt hatte, waren echt. Sie war in der Tat die Tochter des verstorbenen Grafen Eduard. Dennoch, erst als sie sich überzeugt hatte, dass Daniela Namen aus der weitentfernten Bekanntschaft der Rheinsteins nannte, die der Gräfin schon lange entfallen waren, gab sie ihr Misstrauen auf.

Da musste sie also noch einmal in die Stadt fahren, zu Dr. Wettlinger. Der Gute beschwerte sich nicht, aber ihr entging nicht, dass sein Unverständnis von Mal zu Mal gewachsen war. Das verbarg er hinter einem verbindlichen Lächeln. Aber beschweren konnte sie sich nicht über ihn. Bisher hatte er alle ihre Änderungswünsche prompt und korrekt erledigt.

***

Daniela streifte gelangweilt durch den Schlosspark. Schon von fern sah sie: Der Gärtner Joshua, die stattliche Erscheinung, war mit einem Rhododendronbusch beschäftigt. Sie schlich sich in seinem Rücken heran und hielt ihm die Augen zu. „Wer bin ich?“, fragte sie übermütig.

Joshua versuchte sich Danielas zu erwehren. „Aber Gräfin!“ Er schüttelte den Kopf. Die Nichte der Gräfin benahm sich nicht so, wie sie sollte. Er hatte sich, so gut es ging, immer vom Schloss ferngehalten, niemals hätte er sich jemandem dort aufgedrängt. Aber nun kam die Nichte der Gräfin hierher und versuchte mit ihm anzubändeln.

„Was hast du denn, Joshua?“ Daniela lachte. „Nur nicht so prüde! Wir sind doch alle Menschen! Auch wenn ich eine Gräfin bin! Und du bist schließlich das einzige männliche Wesen hier in dieser Einöde, da kommt eine Frau schon mal auf Gedanken, die …“
Sie sprach ihren Satz nicht zu Ende, sie war wohl zu weit gegangen.

Joshua verbarg seine Gedanken. Er wandte sich brüsk wieder dem Rhododendronbusch zu und ließ Daniela stehen. Die drehte sich auf dem Absatz herum. Dieser Tölpel! Das sollte er büßen! Sie so zu beschämen! Dieser Lakai! Dankbar sollte er ihr sein, dass sie sich überhaupt für ihn interessierte!

***

Baronin Lichterfeld fuhr wieder mal in ihrem Cabrio vor. Wie immer hatte sie es eilig. Marietta war nicht verwundert, als sie sah, dass die nicht mehr junge Frau die Freitreppe hinaufstürmte.

„Ulrike, Liebste!“ Baronin Lichterfeld warf sich der Freundin in die Arme. „Erstaunliches geschieht! Du ahnst es nicht!“

Gräfin Ulrike lächelte, sie kannte das hitzige Temperament der Freundin zu gut. „Wenn du die Güte hättest, meine Liebe, mir anzudeuten, worum es sich handelt?“

„Eine Hochzeit, Ulrike. In meinem Hause! Mein Ältester will sich endlich unter das Joch beugen. Du kommst doch? Ich lass dich abholen. In zwei Wochen! Ach, Ulrike“, die Baronin seufzte. „Eine Sorge bin ich los. Nun muss ich noch die beiden anderen standesgemäß verheiraten. Sei froh, dass du damit nichts zu tun hast! Die Aufregung, nirgends ein Fleckchen, an dem man allein sein kann, überall Pakete und herumliegende Papiere. Und die Leute – schrecklich! Diese vielen Leute! Ich kann dir sagen, alle hoffen, für sie fällt auch etwas ab. Und, Ulrike, bring deine Nichte mit. Sie wird sich freuen, auch mal unter Menschen zu kommen. Ist doch wohl ein bisschen einsam hier für sie, nicht wahr?“

„Einsam? Für Daniela? Daran habe ich noch gar nicht gedacht. – Und du meinst, sie langweilt sich hier? Ich habe sie doch gefragt, ob es ihr hier gefällt, und sie war ganz begeistert. Du meinst, sie hat mir etwas vorgespielt?“

„Das meine ich nicht nur. Es liegt doch auf der Hand: eine attraktive junge Frau der besten Gesellschaft und dieses Monsterschloss! Die einzige Unterhaltung: dich. Eine alte Frau. Und der Gärtner und die Köchin. Glasklar, dass sie sich hier zu Tode langweilt, da muss ich nicht hellsehen können!“

Gräfin Ulrike sah der Freundin sehr nachdenklich ins Gesicht.

„Und mich vergisst du! Jeden Abend sitzt sie bei mir am Tisch. Ich würde gern mal einen Abend allein sein, aber nein – sie kommt und liegt mir in den Ohren. Mal war Marietta zu unfreundlich, mal der Joshua. Und ich glaube sogar, sie will Joshua hinausekeln. Aber eines sage ich dir: Eher trenne ich mich von meiner Nicht als von meinem Gärtner. Joshua, ein Mensch mit goldenen Händen …“

„Siehst du. Du sagst es selbst. Sie legt sich sogar mit deinem Personal an. Ach, Ulrike. Als wir so jung waren, saßen wir doch auch nicht brav wie Pastorentöchter am Ofen. Wir sind zu Bällen gefahren und nachts erst heimgekehrt. Junge Menschen brauchen eben ein bisschen Unterhaltung.“

„Ja, du sagst es. – Ich werde sehen, was sich tun lässt. Vielleicht schicke ich sie heute nachmittag mit Joshua in die Stadt. Er will einen neuen Rasenmäher kaufen, der alte hat endgültig den Geist aufgegeben.“

„Einen neuen Rasenmäher! Was brauchst du einen neuen Rasenmäher? Was sage ich dir seit Jahren, Ulrike? Gib das Schloss auf und zieh in eine kleine Villa in der Stadt. Ist übrigens auch entschieden billiger, falls du mich fragst.“

„Ach, Liebste, liebe gute Freundin. Ich kann mich nun mal nicht trennen von diesem alten Gemäuer, so gern ich es auch täte. Hier habe ich mein ganzes Leben verbracht. Auf meine alten Tage umziehen? In die Stadt? Nein, verlang das nicht.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Mute mir das nicht zu. Hier habe ich gelebt, hier will ich auch sterben.“

„Dir ist einfach nicht zu raten.“

„Fürs Raten habe ich Dr. Wettlinger.“ Gräfin Ulrike lachte. „Und seine Ratschläge bereiten mir mehr als Kopfzerbrechen. Stell dir vor: Er meint, ich sollte das Schloss nicht dem Kunstverein vermachen, sondern Daniela damit abfinden. Neben einer gehörigen Summe. Natürlich. Sie sei bei ihm gewesen und habe angedeutet, dass sie mit dem Schloss rechne.“

„Dann gibst du ihr eben den alten Kasten! Soll sie damit glücklich werden. Schert es dich, wenn du in der Familiengruft liegst?“

„Aber ich habe das Schloss doch schon dem Kunstverein versprochen. Die Stadt rechnet damit! Wie stehe ich denn da, wenn ich jetzt sage, April, April, ihr könnte eure Ausstellungen weiter in den kleinen Räumen am Markt veranstalten?“

„Du musst wissen, was du tust.“

„Leider. Wir Alten müssen alles wissen und alles richten, und die Jungen machen sich einen schönen Tag. Auf Kosten meiner Nerven.“

Baronin Lichterfeld seufzte. „Wie recht du hast. Wenn ich nur an die Hochzeit denke. Alles ruht auf meinen Schultern. Mein Sohn – vergiss ihn! Der lässt sich bis zur Hochzeit nicht mehr zu Hause blicken. – Aber ich habe es eilig, Liebste. Ich wollte dir nur die kleine Überraschung aus dem Hause Lichterfeld mitteilen.“

Die beiden Freundinnen umarmten sich innig. „Ach, Liebste“, sagte Gräfin Ulrike, „wenn ich doch bloß schon die Augen schließen könnte …“

„Denk nicht daran! Du mit deiner Konstitution wirst hundert Jahre alt. Und deine Daniela wird sich umsehen, wie lange sie auf das Erbe warten darf. Ist dir das keine Genugtuung?“

Angelika
Bin 75, Rentnerin, alleinstehend. Denke mir Geschichten aus, um die Leute zu erfreuen.

20 Kommentare

  1. Das war Cousine Anne, Muttis Cousine Anne und ihr schrecklicher Mann, der Onkel Ludolf. Die qualmte in dem Zimmer, das mein Schlafraum sein sollte, und las schäbige Groschenhefte dabei. Da hab ich geheult. Ich musste für die putzen, ich glaube, Mutti hat das alles gar nicht gewusst. Mutti war dankbar – dankbar, dass die mich aufnahmen, die Anne und ihr Mann, und ich eine Ausbildung bekam. Natürlich hat der mich nicht versichert. Erst als Hausmädchen, den Hühnerstall musste ich saubermachen, und als ich mich weigerte, sagte der Onkel, du kannst zurück zu deiner armen Mutter gehen. Warum seid ihr nicht im Osten geblieben – nein, ihr wolltet zu den Verwandten im Westen, weil, die Russen hätten euch alles geklaut, und durchfüttern sollen wir euch jetzt. Was sollte ich da machen, ich musste still sein. Später war ich die Gouvernante und dann die Assistenin am Zahnarztstuhl. Hängte den dicken Patienten mit den faulen Zähnen den Absauger in den Mund. Natürlich hatten die Schmerzen! Und Cousine Anne und ihr Mann, der Zahnarzt, die soffen nachts Cognak und feierten Partys im Zimmer über mir, da tanzten die so laut, dass der Kronleuchter von der Decke kam.

  2. Liebe Ilse, ein hochinteressanter Text. Warum aber vergeudest du ihn als einen Kommentar unter meinem Text? Der könnte doch alle hier interessieren, stell ihn doch als deinen eigenen Text ein, damit wir alle eine Freude daran haben. Nicht so viel Bescheidenheit, mehr Selbstbewusstsein!

  3. Ach wären doch so manch andere hier so bescheiden wie die Ilse!
    Sie sind ein gutes Mädel, Ilse. Bei Angelikas Texten geht einem/r so manches durch den Kopf. Schütten Sie es ruhig aus, hier unten ist es gut aufgehoben. Mehr noch, sie sind in diesem Blog die Würze. Getreu dem Motto: Was kümmern uns die Herrschaften, das Personal schmeißt den Laden. In diesem Licht, liebe Angelika, leuchtet doch Ilses Kommentar gleich viel heller. Finden Sie nicht auch?

  4. Es ist kein Kommentar, es ist ein selbstständiger Text. Warum will ihn Ilse unter den Scheffel stellen? Man kann hier schon bescheidenere Texte lesen. Sicher, man könnte dies und das noch verbessern, aber zuviel kann man von Hobby-Dichtern nicht erwarten.

  5. AntiähAngelika, tschuldigung (das rutscht mir manchmal so raus, die Schreibweise bzw. der apodiktische Ton ist sind sich halt sehr ähnlich)… also, wie dem auch sei, wo steht geschrieben, dass ein Kommentar kein eigenständiger Text sein darf? Hier stand es schon des Öfteren,und ich will es gern nochmal aufgreifen: Dieser Blog wird hauptsächlich durch Kommentare weitergeschrieben.
    Darf ich des Weiteren anmerken, dass das Nicht-Eingehen auf Texte auch eine Form der Höflichkeit sein kann? Ist nicht von mir, ist von Tutor… aber eine schöne Umschreibung für das Verkneifen von negativen Energien. Asiatisch lächeln, sagte einst mein Vater, als ihm die Kellnerin ein Bier in den Schoß kippte.

  6. Antilika haben Influenza. Oder Noroviren. Oder was anderes. Jedenfalls sind beide krank und das Testament ruht. Ist das nicht schön? Es ruht. Ruhe. Nix als Ruhe!

  7. Ihr denkt wohl, ich habe Feierabend gemacht? Ihr denkt, wenn ihr abends schlafen geht, dann wacht ihr morgen früh auf, und ihr seid mich los – aber dann klappt ihr den blog auf noch vor der stoßlüftung – und ich bin immer noch da!

  8. Sch….ade. Wir hatten uns mehr als gefreut, die Sektkorken wollten knallen. Wollten. Denn wir ahnten, dass Antilikas Senf noch lange nicht ausgegangen ist. Es lebe der Groschen und der Roman! Es lebe die Impertinenz, der Gleichmut und die Inhaltslosigkeit: Leute! Es ist Antilika! SIE leben. Beide. Und ich werde es meiner geliebten Oma gleichtun, die vor dem Zubettgehen murmelte: Es ist ein Kreuz, doch wir müssen es tragen…

  9. Ich lese das hier gerade noch mal. „Allzuviel kann man von Hobby-Dichtern nicht erwarten.“ Ich habe erst im Altersheim mit dem Schreiben begonnen. Meiner Tochter wurde es zu bunt mit mir. „So, nun aber ab nach Adersheim“, sagte sie am Sonntag vor Weihnachten. Und sie hatte recht. Sie wusste, wann es Zeit für mich war, auszuziehen. Und ab nach Adersheim. Ich war auch gar nicht sauer. Das Geschirr habe ich ihr schon vorher vermacht. Ich bin sehr stolz darauf, dass meine Tochter jetzt eine komplett eingerichtete Küche hat! Toll, wie sie mit Töpfen und den Porzellanschüsseln hantiert. Ich hatte da nie so ein Händchen dafür. Das kann meine Tochter besser. Seitdem sie mich nach Adersheim verfrachtet hat, schreibe ich. Und so auch den oben stehenden Text. Dass er hier als Kommentar steht, stört mich nicht. Auch stört mich nicht, dass Sie mich als Hobbydichterin bezeichnen. Meine Tochter hingegen, die wär schon beleidigt. Sie ist so stolz auf ihre alte Mutter! Dass die es dank ihrer schlauen Tochter, denn die hat ja in Germanistik promoviert, doch noch geschafft hat, mit dem Schreiben anzufangen. Und wie man sieht, kommt auch was Brauchbares dabei raus.

  10. Mutter, es reicht mit der Bescheidenheit! Ich koche mit deinem Porzellan, und du, stell deinen Text jetzt endlich mal als Beitrag ein.

  11. Meine Liebe. Der Text ist bescheidene Hausfrauenkost. Mehr nicht. Und du weißt ja, wie lange ich schon nicht mehr für deinen Vater gekocht habe.

  12. Was ist denn hier los? Wieso tauchen hier plötzlich Texte auf und verschwinden gleich wieder? Ironielevel 101? Ich bitte dieses Wort zu entschuldigen, aber ist das ein „Flashmob an Texten“? Und in absichtlicher Verbiegung des Wortsinnes – Actionwriting? Was soll das Gespräch in entlegenen Kommentaren? Die einzige Garantie für ein intelligentes Gespräch? Warum dieses Abarbeiten an Texten, die für schlecht gehalten werden? Warum diese ironische Maske, hinter der sich nur wieder eine ironische Maske verbirgt, und nur manchmal der Mensch aufblitzt? Und nie weiß man, ob es eine Kritik oder ein Lob ist? Ist Literatur ein Weg oder ein Ergebnis? Ist Literatur viele Wege?

  13. Ich dachte, in Adersheim steht die Kirche im Mittelpunkt des Dorfes. Da gilt ein Wort soviel wie ein Handschlag. Die Männer sind alle bei der Feuerwehr. Und im Blasorchester. Und im Altersheim. Ironie verstehen wir hier nicht. In Wolfenbüttel vielleicht, aber nicht in Adersheim. Für manch einen ist Ironie ja eine Rüstung. Eine Rüstung gegen die unvollkommene Welt. Gegen die unvollkommenen Menschen. Wenn einer ein Gedicht rezitiert, und die anderen reden über Autoreifen. Dann zieht man seine Rüstung an. Klappe zu. Rossschweif aufgesetzt. Und, im Löwenzahn stehend, neben dem Kaninchenstall, laut mit dem Schwert gegen den eigenen Schild schlagen. Das ist hier keine Ironie. Das ist eine ernsthafte Bemerkung.

  14. Frau Stein, ich muss Sie jetzt doch mal etwas fragen. Ich habe ja viel Zeit im Altersheim. Und verfolge den Blog schon eine ganze Weile. Sind Sie vielleicht das Mädchen aus der Provinz, in der es immer sehr windet? Sie haben doch hier schonmal geschrieben. Ihr Schreib- und Redestil kommt mir bekannt vor! Mir ist fast so, als hätte ich außerhalb von „Inskriptionen“ auch schon mal etwas von Ihnen gelesen. Kann das sein?

  15. „Und deine Daniela wird sich umsehen, wie lange sie auf das Erbe warten darf. Ist dir das keine Genugtuung?“

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