Für diesen Blick

Für diesen Blick: von Meersburg übern See,
ein fließend Blau, von Rebengrün umhangen,
der Säntis wie ein Felsgewölk, von Schnee
zart übersilbert, – welch ein Heimverlangen

in diesem Blick und welch ein Abschiedsweh! –
In diesem Blick ist alles eingefangen,
was heimatlich durchträumte uns seit je, –
in diesem Blick ist alles aufgegangen,

was uns die Zeit erfüllte schwermutbang, –
für diesen Blick bin ich in Leid ergraut
und trug ich einer Fremde Missgeschick, –

für diesen Blick – von diesem Blick durchschaut –
hielt ich nicht inn im Gang, mein Leben lang,
für dieses Blickes ewigen Augen-Blick.

Johannes R. Becher

Antigone
Weder gewesene Pionierleiterin, Mitglied des Politbüros oder gar Geliebte des Staatsratsvorsitzenden (wie hier vermutet), sondern schlichte DDR-Bürgerin, nunmehr für 18 Milliarden DM zusammen mit 17 Millionen DDR-Bürgern zwangsweise verkaufte Bürgerin des Staates BRD. Hanna Fleiss: geb. 1941, wohnhaft in Berlin, Veröffentlichungen: zwei Gedichtbände "Nachts singt die Amsel nicht" und "Zwischen Frühstück und Melancholie" sowie in zahlreichen Anthologien und im Internet.

6 Kommentare

  1. J.R. Becher, ein zerrissener Mensch, der am Ende einsehen musste: „Ich habe große Schuld…“ Warum? Weil er den geplanten Doppelselbstmord mit seiner Geliebten überlebte? Weil er, das stets überzeugte Mitglied vom Spartakusbund, KPD und SED, nicht nur eine schwülstige Hymne an Stalin schrieb (Du schützt mit deiner starken Hand den Garten der Sowjetunion. Und jedes Unkraut reißt du raus, du Mutter Rußlands größter Sohn…,1939). Oder weil er seinen Sohn John verleugnete, der ihm 1951 in einem offenen Brief schrieb:
    „Schau mit offenen Augen, und du musst sehen, dass die deutsche Jugend in deiner demokratischen Republik vorbereitet und trainiert wird für ein noch größeres Blutbad. … Hast du das nicht schon einmal gesehen?“
    Becher aber, der Stalinpreisträger, blieb seiner Linie treu und entgegnete 1953:
    „Es wird ganz Deutschland einstmals Stalin danken…und durch den Schwarzwald wandert seine Güte und winkt zu sich heran ein scheues Reh.“

    Hergott nochmal, ist das nicht romantisch?

    Quelle: Dr. Wolfgang Näser, Uni Marburg (huch, der Westen…), 2002

  2. Guten Morgen, Soundroom.
    Das war mir neu. Ich habe Becher in der DDR-Schule als Antifaschist und eben bewanderten Kulturchef kennengelernt. Da sieht man mal wieder, dass die Hintergründe manchmal Abgründe sind. Wenn ich da meine Kindheit und Jugend hinterfrage, dann kommt mir das immer mehr verlogen vor. Was sollte das alles?

  3. Janusköpfig. Das Leben. Und Becher natürlich. Wie viele andere seiner Zeit auch. Damals regierte die Angst vor Stalins Gulag, später die vor Bautzen und Co. Die mit dem klaren Blick wurden gern ausgewiesen. Man wollte unter sich bleiben…

  4. Bin ich, um einen schönen Eindruck zu hinterlassen? Wie erbärmlich ist das denn?
    Ich bin, das langt. Und wenns lustig werden soll, bin ich viele. Das habe ich in der Täterätätä gelernt: Abspalten. Alles. An welchem Ort auch immer. Das schützt.

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