Weitere Geschichten vom Vater

Teil II

Seine letzten Sätze  begleiten mich seit dem Tag im Frühling, an dem ich Vater zum Mittagessen holen sollte. Ich stürmte in das Schlafzimmer hinein und rutschte auf dem Hosenboden zu der bleichen Gestalt, die am Bettrand saß und mit entrücktem Blick auf das Blut starrte, das pumpend aus seinem Arm schoss. Auf dem Linoleumboden hatte sich ein roter See gebildet, dickflüssig und rot-lackiert. Ich saß in dem See, meine Hände badeten im warmen Blut. Ich rieche es noch heute, süß-sauer, wie meine Lieblingssauce im Asia-Shop, der sich neuerdings Indochine nennt. Von diesem Tag an sprach mein Vater noch einige wenige Wörter. Laute Worte im Schlafzimmer, gedrückte Worte am Küchentisch, weinerliche Worte in der guten Stube. Auf Knien flehte er die Mutter an, ihn bitte nicht allein zu lassen. Es gäbe sonst keine andere Möglichkeit für ihn, als die Kinder zu Krüppeln zu schlagen. Es dauerte nicht lange und mein Vater nahm das Abschleppseil  und ging in den Wald. Da er nicht allein sein wollte, nahm er seine Kinder mit. Das war auch nicht weiter verwunderlich, hatte er es doch schluchzend, aber  deutlich  meiner Mutter angekündigt.  Mein Vater war zwar kein Pendant, aber er hielt seine Ankündigung und schlug seine Kinder, also uns, in der Absicht, unser Leben zu beenden. Um  sicher zu gehen, beugte er sich über die scheinbar leblosen kleinen Körper. Ich öffnete die Augen und sah das vertraute, seltsam weiße Gesicht. Es war umrahmt von schwarzem Haar, das in weichen Wellen bis zu den Augen fiel. Es waren blaue Augen,ungetrübt, groß und klar. Vaters volle Lippen, die leicht bläulich schimmerten, öffneten sich und eine Stimme, hoch und brüchig, flüsterte: „Das ist die Schuld deiner Mutter. Sie war sehr böse zu mir.“ Dann wendete er sich ab, ging einige Schritte durch den Wald auf der Suche nach einem staatlichen Baum und beendete sein Leben. Mein Vater stand an diesem heißen Augusttag in seinem dreiunddreißigsten Sommer.

 

soundroom
pseudonym für eine in erfurt, würzburg und marburg studierte germanistin, die sich in den weichen kissen von inskriptionen ausruht von den merkwürdigkeiten ihres mittlerweile 15-jährigen berufsalltags in der verwaltung. = rapunzel = stefanie

8 Kommentare

  1. Denn kaum war Mutter im Krankenhaus, nahm Vater das Feiern, das Essen und Trinken mit seiner Familie wieder auf. Vater – ganz wie der Tintenfisch, ein Meister der Tarnung.

  2. ich sach doch: kosten für die chefarztrechnung. die werden wir alle zahlen, und zwar pünktlich. schließlich haben wir einen dünkel.

  3. kleist, du bist bekloppt. kosten für die rechnung! wann behandelt dich der chefarzt? und über die kosten mach dir mann keine sorgen – bei deiner verfassung ist dir die medizinische notwendigkeit abgesegnet.

    ein gutachter.

  4. immer nur vater. dabei ist doch mutter verwirrt. vater hat längst abgerechnet!. sagt sie. ist verwirrt. orientierungslos. irgendwas in ihr. ist immer hinter ihr und treibt sie. gibt es chefärztinnen die da helfen können ohne gleich eine hohe rechnung auszustellen. wir künstler können…

  5. konfus im koppe. wenn es um kaufmännisches, zahlen und geldgeschäfte geht. um die eigenen gedanken. der blick weist aus dem fenster. um ein paar ecken herum nur. denn wenige hundert meter, wenn auch auf den ersten etwas labyrinthisch anmutend, sitzt der grund jammernd auf dem bett und glaubt im traum nicht schlafen zu können. getrieben mag sein, rennen geht nicht mehr. ohne vater. deshalb so

  6. die einen wurden vom vater geschlagen, die anderen bekamen pampige antworten von ihm. was ist denn das für ein vaterbild? brennt die zeitung an!

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