Steile Karriere

Fräulein Pikante hatte eine herzallerliebste Tochter. Sie malte, spielte Flöte, turnte – Frl. Pikante schickte sie auf die Ballettschule. Dort wohnte sie wochentags im Internat und hatte ihre Ruhe. Den Vater ihrer Tochter hatte sie einst schon zu Beginn der Schwangerschaft verlassen, denn er war beruflich erfolgreich und verdiente gut. Frl. Pikante konnte es nur schwer ertragen, einen tätigen rastlosen Menschen in ihrer Nähe zu wissen, selbst aber ans Wochenbett gefesselt zu sein. Mit den Unterhaltszahlungen gab es nie Probleme und sie war befreit von Meinungsverschiedenheiten. Nun wirkte Frl. Pikante auch als Mutter nicht unattraktiv. Ein Jahr nach der Entbindung hatte sie ungefähr ihre frühere Gestalt zurückgewonnen, ja sie war noch schlanker, geradezu dünn geworden, derweil das Kind diverse Fettanteile aus ihr herusgesaugt hatte. Die etwas zahlreicher gewordenen Fältchen um die Augen als Folge durchwachter Nächte ließen sie gereift erscheinen, daß man beinahe nicht mehr Fräulein zu ihr sagen mochte.

Kurz: Gegen ihren Willen sie war wieder ein auf die Männerwelt anziehend wirkendes Weibsbild geworden. Ihr Talent, dem Gespächspartner jedes Wort im Mund herumzudrehen, hoffte sie, würde die Verehrer abschrecken. Tatsächlich fühlten sich von ihrem scharfen Verstand gerade die in Frauenangelegenheiten versierten, akademisch gelangweilten Herren herausgefordert, die zunächst auf eine intellektuelle Eroberung aus waren, es aber billigend in Kauf nahmen, wenn sie intime Folgen hatte. Fräulein Pikante betrachtete es als Sport, innerhalb einer Mensapause den eingebildeten Herren den Kopf zu verdrehen, Hoffnung zu wecken und am Ende der Fuffzehn die heiße Kartoffel fallen zu lassen. Zurück in ihrem Büro hatte sie Stoff zum Schwätzen und Kichern mit ihren Assistentinnen, die bald begannen, sich an ihr ein Beispiel zu nehmen. Doch diese Geschichten sollen hier nicht erzählt werden.

Eines Tages geschah es, daß es Frl. Pikante wider Erwarten nicht gelang, ihren mittäglichen Herausforderer abzuschütteln. Es handelte sich um ein Objekt, das genau das Gegenteil von Frl. Pikante selbst darstellte: Mr. Rumpel war gebürtiger Inder, stammte aber von britischen Vorfahren ab. Untersetzt, um nicht zu sagen kleinwüchsig, war er von rundlicher Gestalt und trug eine beachtliche blonde Mähne, die in vollkommenem Kontrast zu dem schwarzen Kurzhaarschnitt von Frl. Pikante stand. Zu Höflichkeit und Bescheidenheit erzogen, kannte sich Mr. Rumpel mit den Kulten in Kerala und Goa aus, hatte seine „Teepartys“ hinter sich und war im besten Sinne ein Freak, der über dem Hanf erstaunlicherweise sein logisches Denkvermögen nicht eingebüßt hatte und wie kein zweiter programmierte.

Frl. Pikante erkannte rasch das Potential, das Mr. Rumpel in sich barg und gedachte, es für ihre weitere Karriere zu nutzen. Dabei unterschätzte sie jedoch die emotionale Bindung. Gerade noch gelang es ihr, mit Mr. Rumpel ein date am Wochenende außerhalb der Mensa zu vereinbaren, was immerhin bedeutete, daß sie ihre Babysitterin engagieren mußte – ein Höchstmaß perönlicher Wertschätzung, geradezu eine Investition. Mr. Rumpel mußte sich also für sie amortisieren. Tatsächlich übernahm er fortan die statistische Auwertung ihrer qualitativen teilnehmenden Beobachtungen von „Genderperspektiven“, so daß sie ihre Artikel und Vorträge mittels empirischer Daten gegen Kritik und Verleumdung immunisieren konnte.

Gern hätte sie Mr. Rumpel eines Tages wie seine Vorgänger als heiße Kartoffel fallen lassen – doch: sie war in Abhängigkeit geraten. Wenn es sich nur um die Statistik gehandelt hätte, so hätte sie wohl einen Ausweg gefunden. Ab und zu gab es eine studentische Hilfskraft mit leidlicher mathematischer Begabung. Nein, die Höflichkeit und Bescheidenheit ihres Freundes erschwerten ihr die fällige Trennung. Er lebte weiter als Junggeselle in seiner Wohnung, besuchte einmal im Quartal seine alternden Eltern in London, war ansonsten aber immer zu Stelle, wenn sie ihn rief. Sie fand seine blonde Mähne richtig „süß“ und konnte es sich nicht ausmalen, wie es wäre, wenn sie sich irgendwann nicht mehr wie ein Spinngewebe auf ihrem Sofakissen ausbreitete. Armes Frl. Pikante.

Zum Glück wußte niemand von ihrer Beziehung, sie achtete streng darauf, sich in der Öffentlichkeit mit Mr. Rumpel nicht blicken zu lassen. In der Mensa hatte er stets einen Platz auf der gegenüberliegenden Seite einzunehmen, damit niemand auch nur den leisesten Verdacht an ihrer Autarkie schöpfen konnte. Klara Klarsack hatte sie erfolgreich abgewimmelt, nun überraschte sie den Lehrkörper mit der Empfehlung, Mr. Rumpel auf den Listenplatz Nummer eins zu setzen. Er sei ein ausgewiesener Gender-Forscher, habe einschlägige Publikationen vorzuweisen und auch die Frage nach der Stammwürze sei von ihm souverän, ja geradezu revolutionär beantwortet worden.

Mr. Rumpel hatte nach der Niederlage von Frau Klarsack genügend Zeit, eine originelle Erklärung dieses Phänomens auf den Etiketten der Bierindustrie zu finden, zu dem man ihn mit Sicherheit bei seinem Probevortrag befragen würde. Die Stammwürze, dozierte er in seinem lieblichen englischen Akzent, stehe in einem signifikanten Zusammenhang zur Oktanzahl. Er habe durch seine Forschungen unwiderlegbar nachweisen können, daß Männer, die eine höhere Stammwürze beim Biergenuß bevorzugten, auch Benzin mit höherer Oktanzahl tankten. Wer Original Pilsner mit 12° trinkt, könne seinem Auto doch auch nur Super mit 100 Oktan zumuten. Was in gewisser Weise einen Widerspruch darstelle, wenn Trinken und Fahren unmittelbar aufeinander folgten, dann wäre eine niedrigere Oktanzahl eigentlich sicherer. Dies aber könne als Hinweis interpretiert werden, daß es betreffenden Männern nicht in erster Linie auf Sicherheit ankomme, sondern auf Kräftemessen. Ein offenes Forschungsfeld sei der Zusammenhang zwischen Stammwürze und Oktanzahl bei Tankerinnen. Vermutlich lasse er sich bei ihnen nicht beobachten.

Frl. Pikante klopfte lange und laut Beifall, auch die übrigen Mitglieder der Berufungskommission schlossen sich ihrem Votum an. Mr. Rumpel hatte sich zudem nicht in müßige Sophismen zum Alkoholgehalt verstrickt. Er besaß die für den Eintritt in den Lehrkörper erforderliche Klarheit – konsequenterweise konnte er sich als berufen betrachten.

Marquis de Passade
geb. am 2. Juni 1940 in Triest, slowenischer Adliger mit französischen Wurzeln, wurde bekannt dank ei-ner Reihe kirchenfeindlicher und philosophischer Essays, die er im Gefängnis schrieb. Nach seiner Ent-lassung wanderte er aus und nahm eine halbe befristete Stelle an einer deutschen Hochschule an, um die Sadismen des akademischen Prekariats zu studieren. Passades Werke nehmen Kritiken am effizienzbasierten Studium vorweg, dessen Auswirkungen erst mehr als ein Jahrhundert später im Niedergang des westlichen Zivilisation sichtbar werden.

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