Das Recht des Schönen

Der Streit um den Erhalt des Welterbetitels des Dresdner Elbtals zeigt, dass das Schöne eines Ortes, und mag er auch noch so einmalig, einmalig schön sein, in Recht und öffentlichem Diskurs keine Rolle spielt. Ein Ort hat keine Stimme, er ist auf uns angewiesen, nur wir können seine Schönheit gegen Zerstörungen verteidigen, die letztlich fast immer auf Aufwertungs- oder Verwertungsmaßnahmen beruhen. Man protestiere einmal gegen eine neue Straße oder eine neue Fabrik, weil man auf einer Wiese oder in einem Tal oder auf dem Platz vor der Kirche gern spazieren gehe, ja man klage einmal vor Gericht gegen eine Baumaßnahme mit der Begründung, das Schöne eines Orts sei bedroht. Im ersten Fall erlangt man bestenfalls den Ruf eines Spinners, im zweiten Fall wird die Klage verloren werden, weder ist das Schöne ein klagbarer Wert, noch darf irgendjemand für sich in Anspruch nehmen, rechtlicher Vertreter einer Wiese zu sein, über die er als Nichteigentümer allenfalls spazieren geht. So wird denn die meist schon zu Beginn verlorene Schlacht mit den gerade so erlaubten Waffen geschlagen. Tritt man öffentlich für die Wiese ein, gründet vielleicht gar eine Bürgerinitiative, so bekommt von den PR-Abteilungen das Etikett eines Investitionshindernisses verpasst, über Nacht wird man zum Ökofuzzi, zum Altkommunisten oder sonstwie wertlosen Teil der Gesellschaft. Mangels eigener PR-Abteilung kann man da nicht mehr viel machen. Die vom Wiesenspaziergänger auch mit noch so guten Argumenten ausgearbeitete Pressemitteilung wird kaum zitiert, eine Plattitüde des Offiziellen hingegen gelangt leicht in die Tagesschau. Manchmal ist die Wiese irgendwie ein Denkmal, und mit etwas Glück verweigert das zuständige Denkmalamt die Linientreue zum Investierenden. Das Ergebnis ist dann meist ein Kompromiss auf Kosten der Wiese, ein paar Quadratmeter bleiben erhalten oder kommen als Ausstellungsstück in die Grünfläche des Innenhofs eines Museums. Andere Möglichkeit: auf der Wiese findet sich ein seltener, unter Naturschutz stehender Käfer. Dann dürfen Naturschutzverbände die Rechte des Käfers verteidigen, was aber meist damit endet, dass der Käfer eingesammelt und auf eine andere eigentlich von Artgenossen bereits besetzte Wiese, umgesiedelt wird. (Mit Käfern darf man machen, was mit Menschen eigentlich verpönt ist. Das geschieht mittelbar, mit Lärm, mit Hässlichkeit. Der Wiesenspaziergänger verliert mit der Wiese ein Stück seiner Heimat und steht bald, wenn alle Wiesen in der bewährten Taktik der kleinen, winzigen Scheibe in Bebauungsgebiete umgewandelt sind, heimatlos da. Entweder er resigniert und bleibt, oder er flieht, flieht zu einer anderen Wiesen. Am Ende landen dann alle Wiesenspaziergänger in einem Flüchtlingslager an der letzten verbliebenen Wiese, bis auch diese mindestens mit Entlüftungssäulen für einen darunter verlaufenden Straßentunnel versehen ist.) Außerdem gibt es noch die Möglichkeit, der Wiese zu einem Titel zu verhelfen, am besten zu einem, der, von einem Gutachter bestätigt, nützlich fürs Marketing ist. Das Schöne der Wiese selbst spielt da keine Rolle. Wenn heute etwas von Experten und Kommissionen nicht in Gutachten und Zahlen ausgedrückt werden kann, dann gilt es nichts, dann ist es im Diskurs praktisch nicht existent.

Wie also dem Schönen der Wiese, der Wiese selbst zu einer Stimme verhelfen? Erinnern wir uns an den Käfer: anerkannte Naturschutzverbände dürfen als Träger öffentlicher Belange seine Rechte verteidigen. Naturschutz ist nach dem Gesetz ein öffentlicher Belang, das Schöne nicht. Hier sollte das Gesetz der Wirklichkeit angepasst werden, denn das Schöne ist zweifellos, solange wir nicht vollständig in den virtuellen Raum umgezogen sind, ein öffentlicher Belang. Jetzt benötigen wir nur noch den, der die Rechte der Wiese in den üblichen Anhörungs- und Gerichtsverfahren vertreten kann. Wer ist heute noch eine Autorität auf dem Gebiet das Schönen? Das könnte jeder sein, aber, auch im Naturschutz darf nicht jeder die Käfer verteidigen. So bedauerlich es ist, es muss eine Autorität her, eine Expertenkommission. Nur das Urteil einer Expertenkommission ist heute im Diskurs existent. Im Urteil einer Kommission wird selbst das Unsagbare zum Begriff. Wen nehmen? Die Dichter, die bildenden Künstler, die Komponisten, all die, die sich den Schönen Künsten verschrieben haben. Ihre Verbände, mag es nun der Komponistenverband sein oder der Neue Kunstverein, können die Träger eines öffentlichen Belangs sein – des Schönen. Sie können die Wiese vertreten. Sie können, müssen nicht, die Verteidiger des Schönen der Wiese sein. Auch das Schöne hat ein Recht auf Existenz.

Patrick Beck
geb. 1975 in Zwickau, lebt nach Aufenthalten in Leipzig, Speyer und London in Dresden. Erzählungen, Essay und Dramatik u.a. in den Zeitschriften „randlos“, „Der Maulkorb“, „Die Brücke“ und „Ostragehege“ sowie am Staatsschauspiel Dresden. Swantegard (Hörspiel), ERATA 2008.

2 Kommentare

  1. … erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss überbrückt, die letzte Wiese asphaltiert, werdet ihr merken, daß man Autos lieber fressen sollte …

  2. Lästig ist es zudem, dass viele Unkräuter ohne Gegenmaßnahmen alles andere aus dem Weg räumen, den Nachbarpflanzen Wasser und Nährstoffe vor der Nase wegschnappen und womöglich noch Krankheiten weitergeben.

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