Berlin, noch immer August.


Spiel du doch mal mit deinem Einufern, Abgraben, leisen Tönen, hab dich noch nie so geliebt, weil dieses weisse Wesen dazwischen sich feinsilbig hör nur mal wie sie spricht das Strömen das Rinnen das Auswaschen deiner Träume: wolltest du mit mir stehenbleibn berühr mich nicht wenn ich in der Gegend liegen bleibe, spuck auf mich und zeig mir deine Verachtung, so dring ich in meine Worte, meine alte Welt aus dir heraus, 2 Sätze hintereinander zerstören uns. Wir wollen schon lange nichts mehr hören. Wachs in deine Haut. Du bist gezeichnet. Verlang mich. Mir ist nicht mehr danach, zu seyn.

ujjayi

wie unterm eis das schneetreiben von gestern meine lust von gestern vertreibt und mich in vorgedrungner nacht baumkronen erschlagen liegt der ursprung der tränen in einem atemzug das ganze grün der welt ausserhalb der worte die nägel schiessen von den kuppen das ist der schönheit letzter flug all deine zungen strudeln mich in figurale farben komm süsse panik leise und in marmoradern nach vorn erinnern

ach herr krüger … herr sloterdijk …

ach herr krüger.

meine e-mail wird Sie wahrscheinlich nicht erreichen, weil irgendwelche lakaien sie abfangen.

ich hab Sie beobachten dürfen beim letzten sloterdijk-sonnett mit dem walser-gockel …

um gleich auf den punkt zu kommen: warum liessen Sie sich den schneid abkaufen …

sloterdijk wollte diesen hanswurst und durchschnittsarschkriecher von walser doch gar nicht …

in solch einem alter einem zwar unbeschränkt genialen denker: aber immerzu in den anus …

was ich sagen wollte: Sie haben mich enttäuscht … mal wiedert … sind Sie nun ein so grauenhaft durchschnittlicher denker

oder haben Sie allein das überleben Ihres verlages im sinn … ich weiss es nicht … Sie waren wie gesagt erbärmlich …

jetzt bin ich umso weniger enttäuscht, dass Sie vor geraumer zeit meine werke als dreck abgetan haben

(ist nicht Ihre sprache – würde ich mir aber wünschen, was haben Sie nach dieser …vorstellung noch zu verlieren)

wie ich … vielleicht sind Sie ja dennoch – falls Sie dieses schreiben überhaupt erreicht – für etwas grundlegend neues bereit …

Sie müssen: gar nicht … schreiben dass meine literatur genauso schwach ist wie Ihr auftritt beim sloterdijk …

ihr willi van hengel

s lebt dann nur noch etwas aus dem Nichtshügel. Gärt vielmehr. Die Zeiten auf dem Bahnsteig sind vorbei. Hattest du mich oder eher dich da erwartet?

Wie wieder eintauchen nach dem Auftauen. Da war noch deine alberne Vergangenheit auf deinem Haar. Oder hattest du schon lange nicht das gesagt, was in dir brennt.

Du scheinst zu verschmolzen mit deiner Entleibung. Dein geringes Desinteresse, denke ich, deinem eigenen Dasein gegenüber – ernsthaft – macht mich neugierig. Weil du dich ständig, wie mir scheint, darüber hinweglügen wolltest.

O.k. die existenziellste Identitätsstiftung ist neben der Lüge das Maul halten. Im Veratmen mit dem manchmal viel zu moralischen Gewissen. Der Staub in deiner Tasche. Dieses Wegstauben auf eine völlig neue Spur. Meine Fingernägel flogen beim Scheren wie Flügel nur so davon. Mitsamt meiner immer noch gezähmten Gleichgültigkeit. Später, weiss ich, wird es Verform geben. Aber ich muss keine –ung-Drangsalierung mehr dranhängen. Yeah. Wie ich an meinem Leben nicht. Oder immer wieder hänge. Du an deiner ersten Liebe vielleicht auch noch. Wir vielleicht an unserer insbesonderen Nähe …..

Die letzte Nacht, die sich noch immer bildert. Strahlverflockt. Dein Schnauben. Dein Kurzverloren: wie Schwitzen. Vielleicht ein Moment des Mitgleitens in ungehorsame Lachfalten. Das schon lange nicht mehr Berührtwerden. Dein Andachtslächeln von dir weg. Es giebt nur eine einzige gelungene Bewegung.

Du warst immer schon ein angestrengter Kuss. Auch eine mitgeschleppte Einsamkeit. Noch immer kein Mond, der sich in deine Hand hineindreht. Wie doch noch umküsst von den Sonnenstrahlen zwischen den Zeilen und den frühen Ästen der sauren Kirschen.

Denn da war sie. Und du hättest dort bleiben solln. Beim Eis im Winter. Beim Abrutschen vom queren Gedanken. Nun wirst du nicht mehr so schnell eingeholt von der angeblichen Mehrheit. Dem Angstverruf. Verrufen werden. Wieso du? Du hast dich doch bloss aufs Abtsellgleis begeben, um nicht mehr so viel zu reden, deine Sprache mal etwas austrocknen lassen wolltest, jetzt kommst du mir so, heichlerischer Kobold: hast du noch keine kleine Armee, die dich beschützt, wenn deine Halbsätze sich aus dir herausstehlen?

Komm mit in meine Lüge. Ich hab ne komplette Unterlippe. Da sabbert nichts mehr raus. Ich bin auch noch nie gescheitert. Ich leise mich durchs

zur schönen maienzeit

Ein kleiner Wahn im Vorfrühjahr
ist heilsam, für den König sogar,
Doch Gnade Gott dem Narren –
er will auf dies gewaltge Spiel
das Wagnis Grün im großen Stil
als Eigentum beharren!

***

(Ein kleiner Irrsinn kommt im Mai,
geht auch am König nicht vorbei,
Doch Gott sei mit dem Harlekin –
der dieses riesige Gebiet
dies Großexperiment in Grün
als seins ansieht!)

***

usw. (endlosmutation – erkenne das original!)

Zerfriss dich.

* Die alten Äste riebst du mir aus den Augen mit deinem selbstverspielten Wehklagen wir sind genauso gelogen zerfriss die Ränder deiner Blätter die dich fast erstickt haben so früh wird es nun schon hell unterm Lid es singt das Licht und denkt sich in dich rein und dreht sich auf deine Haut Liebelein vergiss das Atmen nicht Liebelein verschluck die sabbernden Fäden deiner letzten Sätze und stolper deinem Nachtgeruch hinterher du kotzt dich aus und stinkst wie häutest du dich vom Gestern immer noch ausgeworfen nun sind deine Schatten weiss zieh deinen kurzen Rock an ohne deine faule Haut mitten im See umarmte dich eine Alge und du erschrakst und wolltest nur noch befreit werden von deinem letzten Verschlucken vielleicht hast dich gesucht und warst so weit weg von deinem Leib.

Sätze: aus.

Mal anhänglich ins Gras beissen. Auf dem Bildschirm der Krankenhausmaschine den Tod laufen lassen: sehn. Tief einatmen. Ausatmen. Schambessen. Doch noch Sonnenscheinnarben. Übernächtigte Fragmente. Gehorchende Bachmösen.    

Zur Erinnerung an unsere humanistische Bildung: Das Figurenlexikon

Zum Beispiel: Thomas Mann, Der Zauberberg, 1924

Heute: Dr. Leo Blumenkohl aus Odessa.

– junger Mann mit dünnem Schnurrbart
–  der Kränkste am ganzen Tisch
– still, ernst und menschenscheu – er „frühstückte vollständig schweigend“
– lehnt es „rundweg ab“, sich mit Hans Castorp bekannt zu machen
– mit einem Gesichtsausdruck, als habe er “ etwas Schlechtschmeckendes im Munde“
– nahezu täglich muss er sich mit dem Blauen Heinrich besprechen
– steht während einer Mittagsmahlzeit auf, nachdem sich „der leise angewiderte Ausdruch seines Gesichtes noch verstärkt hatte.“
– sein Weggang wird von Frau Stöhr mit „mitleidigen Glossen“ begleitet: „hier aber zeigte sich Frau Stöhrs große Unbildung im vollsten Licht, denn wahrscheinlich aus gemeiner Genugtuung darüber, dass sie weniger krank war als Blumenkohl, begleitete sie seinen Weggang mit halb mitleidigen, halb verächtlichen Glossen.“
– irgendwann im Buch heißt es, er sei „von dem Tisch weggestorben“.

7 auf einen Streich

Leidenschaft ist ihm nicht abzusprechen, dem Autor des sogenannten „Frontalangriffs auf die deutsche Lyrikszene“. Dieser Rundumschlag erschien am 6.Mai 2012 auf www.freitag.de unter der Überschrift : „Neue Lyrik – Neue Impotenz“.
So richtig überzeugend ist er aber nicht. Als Liebhaber. Der Dichtung und der Philosophie.
Er kennt sich aus der Schreiber. In Publikationen und einschlägigen Blogs. Und auch im deutschen Märchenwald. Des Kaisers neue Kleider und so. Und nicht nur das. Auch Eich, Celan und Brecht und Benn, natürlich Heiner Müller. Schon das gekonnte Aufzählen großer Namen erweckt den erektilen Schein von eigener Potenz. Das war schon immer so.
Und erregen kann er sich auch ganz gut. Über die ganzen schreibenden Hanseln und Greteln, die alle keine Ahnung haben. Vom Leben. Von der Sprache. Vom Poststalinismus und der geschundenen Natur.
Nebst Breschnew und Prignitz scheint der Verfasser auch den alten Spruch zu kennen: überholen, ohne einzuholen.

Was nämlich so ein richtiges tapferes Schneiderlein ist, da brauchts nicht mehr als die passende Mus-Schnitte und ein paar Fliegen drauf. Weit ausholen und kräftig zuschlagen. Allewetter ! Sieben auf einen Streich !! Das muss dann nur noch an den großen Gürtel und ab damit in die weite Welt. Ob Riese, Einhorn oder Wildsau, er nimmt es gleich mit allen auf. Der Held. Denn so gelangt man über Nacht zum Thron. (Welch Thron auch immer). Und die dusslige Königstochter gibts gratis dazu.( Man beachte die stolze Zahl der Kommentare unter diesem Artikel im freitag, die so drastisch plastisch vorführt, was dem Autor doch ein Graus: Eitelkeiten und Gedöns.)
Was für ein gelungener Streich.
So ein Freitagsschreiber ist eben kein Sonntagsschreiber. Er weiß was er tut.
In 3 Tagen mehr Klicks im verruchten Netz als vorher in drei Jahren.
Gewußt wie.

Und was nun, liebe sympathische Selbstbespiegeler, schrottige Schreiber und lebensfrohe Legastheniker ? Nicht mehr mit der Sprache spielen ? Finger weg vom Kopf ? Umsteigen auf Hantel und Beinpresse ? Shoppen und chillen ? Wie langweilig.
Wolln wir das Märchen vom Wolf und den 7 Geißlein aufführen ? Auch langweilig.
Eisenhans haben wir ja schon gespielt.

Wie wärs denn mal mit „Sechse kommen durch die ganze Welt“ ?

Am nerven rhythmen.

Denn irgendwann, inmitten eines Gesprächs vielleicht, weisst du es nicht mehr, oder in einem glücklichen Zustand, ging dir auf, dass du die immer gleichen Wörter und Vermeintlichkeiten als doppelte Halbwahrheit von dir gegeben hast, und das schon seit geraumer Zeit, ob du des nächtens nicht mehr alleingelassen werden oder die Stadt mit ihren Lichtern überfluten wolltest. Dein fluchender Speichel. Nur, warum zerfetzte dich dein Nervenrhythmus nicht mehr so wie früher? Als du glaubtest, dass der Mond dir immer noch ein Auge zugezwinkert hat. Als du also noch versuchtest, auf einem wehenden Flügel zu überwintern und heruntergerutschte Prosa schriebst.

Lyrikpolemik

Patricia erhielt Verstärkung von einem Lyriker, der die neue Lyrik für abscheulich hielt. Sein Name war Klaus Kobold, eine Veröffentlichung konnte er noch nicht sein eigen nennen, trotz erfolgreich hinter sich gebrachten Germanistikstudiums. All die publizierenden und preisverwöhnten Lyriker, die sich in der Aufmerksamkeit der Jurys und Lektorate sonnten, riefen seinen Neid hervor. Reim und Rhythmus hatten sie längst über Bord geworfen, dafür übten sie sich in Kleinschreibung („kleinschreibung“) und der nichtgewerblichen Nutzung des und-Zeichens („&“) – oh diese Verräter an der deutschen Sprache, am substanziellen Gedanken und der politischen Botschaft! Endlich kam Klaus Kobold daher, es ihnen heimzuzahlen, dieser wahre Dichter hatte noch um Breshnew getrauert, als er selig von uns schied und wußte darauf Balladen zu singen – leider völlig unrhythmisch, reimlos und ohne einprägsamen Witz. Graumauspoesie war das, was aus Klaus Kobolds Mund quoll. Er aber bildete sich ein, die Lyrik in den deutschsprachigen Landen zu retten vorm nahen Untergang, den Kunst und Kunze ihr beibrachten, von den namenlosen Poeten der neu hervorwuchernden Blogs ganz zu schweigen. Seinen gesammelten pubertären Haß spuckte Klaus auf die Dichter, die ihm verwässert und konturlos erschienen, ewig mit sich selbst beschäftigt. Daß Gedichte aus der Einsamkeit erwachsen und der Blog den notorisch von der Gesellschaft abgehängten, sozial isolierten Individuen, die sich Dichter nannten, nach einer historischen Phase der kalten Technisierung die Gelegenheit bot, miteinander in Austausch zu treten, sich gegenseitig zu inspirieren – das war ihm in seiner Selbstverliebtheit und strengen Normgläubigkeit entgangen. Nach Manier des fin de siècle erwartete er das genialische Werk, das erlösende Wort, die ewige Gültigkeit – was sich im Vorfeld und an den Rändern abspielte, dafür hatte er nur Verachtung übrig: Karolin und Eisenhans, diese Namen weckten in ihm nicht die Erinnerung an glorreiche Zeiten, sondern an den lachhaften Gestus der Dilletanten. Dabei wußte Klaus theoretisch aus seinem Studium in Leipzig, daß schon der olle Freud gepredigt hatte: Junge, wenn du anderen was vorwirfst, meinst du am Ende dich selbst. Wirf nicht mit Steinen, wenn du … und so weiter und so weiter. Doch die ph-wert-neutrale Optik auf Klaus’ Nase erlaubte ihm keinen Blick in den Spiegel, alles, was er beschimpfte, hatte sich vor seiner Linse verzerrt. Ach, nehmt mich doch endlich unter Vertrag, seufzte er, seht doch, wie all die vernachlässigten Geister mir zujubeln, ihr werdet es nicht bereuen. Ich will ein eigenes Buch und nicht nur einen Eintrag auf den „Inskriptionen“. Da wunderte sich selbst Patricia ein wenig über ihren alten Freund.

ich schreibe so dahin (die zerbrochene glocke zeit)

winzige weiße häuser wachsen aus den spalten und ruinen

dieser ungemütlichen welt

eine vorstadt der sehnsucht

 

in den häusern wollte ich zuhause sein,

wären sie bewohnbar und nicht

ein von weißen spinnen gewebtes schloss

 

hellgrüne fingerkuppen und blaue meisen

kreuzen meine lichte, stürmische unruhe

 

die von meinen gezeiten bewegten wasser

werden an ihren ufern gelähmt

 

ich lausche, ob ich die rufe der abendteurer

höre weit weg auf ihren schiffen

 

ich schreibe so dahin

durch die zerbrochene zeit,

die einmal eine viel zu schwere glocke

in einem viel zu hohen turm war

 

ich sehe mich mit grünen laubaugen

meine sprache, meine stimme

schütten sich aus und überschwemmen dieses zimmer,

in dem sich mein leben abspielt mit seinen

täglichen visionen

 

es gibt keine fenster und türen

die ein- und ausgänge fehlen

das licht ist fahl und gleißend

 

ich schreibe so dahin inmitten des rauschens

und dunkelgrünen tannenflirrens

 

ich wellenreite, bluttriefe, blätterrausche,

klinge und töne

mit der zeit

und keinem ufer entgegen

jalousie

das in die asche starren hinter mir lassend und die nach unten geretteten fusssohlen schrei ich dir zärte zu flüster dir schläge ins gemach hochhackig mit schokostrümpfen oder hast du heute lebend noch was vor so gegen neun

Mein Davonlaufn.

Bring mir eine Handvoll rutschiges Moos mit, mit dem ich mich einschmieren kann, kannst du das verstehn, oder solln wir uns endlich an den Wolken vorbeihangeln, ich bin so weit, auch ohne Maske, jetzt geht’s mir wieder besser, wir leisen uns ab, begraben mein Misstrauen zwischen deine Pobacken, am liebsten beim Abdunkeln, dein Schnaufen unterm Kopfkissen, später werden wir uns an die Scheibe heften und mit abtropfen, werden wir uns zurücklassen, ohne an den Wolken gehangen zu haben, wie an der Unauffindbarkeit einer letzten Spur, werden wir uns dann an die Hand nehmen. Liebe ist bettelarm, wenn sie rechnet. Liebst du dein Leben so wenig. Kaum dass ich dich darauf anspreche, wird mir meine Unendlichkeit klar. Es giebt nur wenig Grösse, Tiefe, zu wenig vor allem von deinem Mund, den ich einreiben will mit dem ausgerupften Gras von letzter Nacht, als ich mich so weit weggetraut habe von mir. Mein Davonlaufen war bislang nur im Uhrzeigersinn.

Letztens wurd ich inner Wüste angefahrn.

* Aus einem fortwährenden Nicht-bei-der-Sache-seyn liegt deine Zunge wie verdorrt im Mund. Du weisst nicht, wohin. Warum. Hast du dich schon mal als Verlegenheit betrachtet. Aus dir heraus eine Erinnerung frei erfunden. Als wärst du aus dem Wald bald wie ungeschält zu dir gegangen. Ich verlier mich immer da zwischen ankommenden  und eingefrorenen Silben: schrei icht mehr auf/frei verlaufen wie ein Aufleben mit abgedeutetem Ausmirwerden. Frier aus den Baumstümpfen meiner nie gerodeten Kindheit. Meine Kommasetzung lässt mich nicht mehr los. Ich gestatte mir nichts. Aus dem Verwirrtsein geschüttelt. Fein buchstabiert wie dein niemals unbegründeter Lungenflügel, deine aufsässige Gebärmutter, kennst du deine Vernämlichung, als ich dir den Raum nahm, den Schlaf fast aus groben Versprechungen, du hast deiner Sprache noch kein Gemüt verpasst…

fallen

geh hinein
in das Fremde
egal wie fremd es
ist
falle falle falle
wie ein Stern
in geschlossene Arme
warte
was sich öffnet
öffne dich dem Fremden
falle falle falle
geh verloren in all dem
was schmerzt
falle falle falle
ins Neue
mit offenem Herzen
lasse Verletzungen
Unsicherheiten
Hinter dir
Über dir
Ohne dich

falle falle falle

Nietzsche I.

Derrida nimmt seine Kamera zur Hand und hält sie auf einen Menschen mit Schnauzbart. Er dreht am Objektiv. Näher hätte er diesem Mann nie kommen können, so versteckt hinter der Linse, so stechend dieses dunkle Braun seiner Augen und so tief hinein, bis fast auf den glasklaren Grund seiner Seele.

Dieser braunäugige Mann hieß Nietzsche. Er litt an den allzu feinen Zügen seines Gesichtes. Und an der Angst, die sein tiefen Blick den anderen machte. Und er litt darunter, sich ständig Gedanken zu machen über Gott und die Sehnsucht, über die Lust am Lästern und die Vergeblichkeit des Denkens überhaupt. Er litt halt gerne. Verdammt gerne, wenn er ehrlich hätte sein müssen, ehrlicher als er es ohnehin schon war.

Also konnte Derrida ihm nur mit einer Kamera nahe kommen. Sie liebten sich eh schon lange, auch wenn Nietzsche noch nichts davon wusste. Vielleicht wollte er auch nichts davon wissen. Das aber spielte keine wesentliche Rolle. Jemanden nicht vereinnahmen wollen und dennoch ganz nahe bei ihm zu sein, ihn nehmen zu wollen und doch ganz bei sich zu lassen, sich gehen zu lassen: bei sich haben und verausgaben in einem – das ist seine Vorstellung von Liebe, also unmöglich?

Das Anderssein des Anderen zu achten. Eine Aufforderung, die befreit. Nähe und Distanz zugleich! Es entsteht ein Rhythmus, der belebt.

Derrida nimmt sich zu Herzen, was Nietzsche, im „Gewissen“ seiner „Metho­de“, die nie eine festgelegte, sondern immer eine aus der jeweiligen Situation sich ergebende Methode ist, ohne dass sie beliebig und damit unkommunikativ wird, gefordert hat: „dem Menschen seinen All­gemeincharakter immer mehr zu nehmen und ihn zu spezialisiren, bis zu einem Grade unverständlicher für die Anderen zu machen (und damit zu einem Gegenstand der Erleb­nisse, des Staunens, der Belehrung für sie)“[1]. Kurz gesagt, sieht Derrida durch seine Linse einen Nietzsche, der auf einzigartige und einsame Weise die Ästhetik des Blicks mit der Ethik des Gewissens verbindet.

Warum aber spricht er ihn mit „Frau (bei) Nietzsche“ an?

Will Derrida seine Ehrfurcht vor ihm verbrämen, um die eingefahrene Situation aufzulockern? Oder will er Nietzsche provozieren, um ihn so zu einem gewöhnlichen Menschen zu machen? Sicherlich stimmt von allem etwas. Wir wollen uns hier nun beruhigen, indem wir Kant mit seinem buckligen Rückgrad ans Ufer rudern lassen und sagen hören, dass wir alles behaupten können, nur nicht, dass wir etwas wissen, vor allem nicht über die menschliche Seele und die Motive und Beweggründe des Handelns. Er, Kant, war ja ansonsten ein freundlicher Einzelgänger, und auch die auffallend enge Bindung zu seinem Pudel stieß auf einvernehmliches Achselzucken, aber in einer Sache ließ er nicht mit sich spaßen; da konnte er grantig und unangenehm werden so unangenehm, dass man das Zutrauen zu all seinem sonstigen lieblichen Benehmen beinahe gänzlich verlor. Niemand könne je verurteilt werden wegen seiner inneren Motive, allein die veräußerten, also seine Handlungen mögen ins Urteil fallen. So sei ein Urteil mithin nur gesichert, wenn es dem jeweiligen Recht entspreche, oder aber im inneren Dialog mit sich selbst und der Übereinstimmung des Gewissens, ansonsten alles andere zur Krankheit der Seele und damit des Körpers führe. Wie anders als über den Leib könne die Seele derweil sprechen. Oder anders herum: Warum sind so viele Menschen krank?


[1]   Dies ist eine unveröffentlichte Notiz aus Nietzsches Nachlass aus dem Herbst 1880 (Nachgelassene Fragmente; Bd. 9, 6 [158]). – Näheres zum „Gewissen der Methode“ wollte Nietzsche unbedingt in seinem veröffentlichten Buch Jenseits von Gut und Böse sagen (Kap. 5, Aph. 36), was er auch getan hat. 

Kletterübung

Die krone des baumes war fast erreicht, ich kletterte weiter. Ohne eine genaue vorstellung davon zu haben, was mich da oben erwartete. Marsha saß in der küche und schaute mir zu. Sie hatte gerade das fenster geschlossen und den vorhang beiseite geschoben, immer kleiner wurde sie jetzt. Die perspektive von so hoch oben ließ sie mir plötzlich fremd erscheinen. Noch nie zuvor hatte ich die linie ihres scheitels betrachtet, der das kastanienbraune haar in zwei hälften teilte. Der latz der schürze wölbte sich über ihrer brust, schon längst hatte ich keinen festen halt mehr. Ich schwankte, wie die äste des baumes schwankten, ich schwebte, wie die blätter schwebten. Nur noch das surren der insekten und das brummen der bienen begleiteten mich.

Marsha nahm den kuchen aus dem backofen, sie drehte mir jetzt den rücken zu. Während sie sich vorn über beugte, gab das herab fallende haar die weiße haut ihres nackens frei. Deutlich der flaum am haaransatz, ich stieg immer höher. Leicht wie eine feder fühlte ich mich auf einmal und frei wie das licht zwischen himmel und erde.

Zwei tage zuvor hatte ich Marsha das erste mal berührt, heimlich, während sie im schatten der großen eiche eingeschlafen war. Ganz vorsichtig hatte ich die außenseite meines zeigefingers an ihre schläfe gelegt, ganz nah war mein mund ihrer wange gekommen. Dicht über ihrer haut hatte ich meinen eigenen atem gespürt und ihn dann angehalten, um mich nicht zu verraten.

Marsha ging aus dem zimmer und ließ die tür halb offen stehen. Der himmel über mir begann sich zu drehen, schon ganz klein waren die vögel unter mir.
Marsha badete im fluss. Ihr nackter körper tauchte in das wasser, in dem sich das grün des waldes spiegelte. Ich war jetzt allein hier oben.

Marsha lief den feldweg zurück zum hof, ihr rock streifte den boden. Sie lief immer schneller, dass es staubte.

Marsha liegt auf dem rücken im gras, ich erkenne sie nur noch als winzigen punkt in einer grünen fläche.
Schon bald werde ich Marsha fragen, ob sie meine frau werden will.

Das Leben ist seltsam

Wir haben uns in die augen geschaut und kaugummi gekaut, die blasen knallten bis an die decke. Wir haben die revolution geplant, Lisa ging zwischendurch zigaretten holen, am automat um die ecke.

Am abend haben wir uns geliebt, lang. Ich musste an rosenknospen denken, deine brüste wippten zu einem alten schlager. Später einmal, habe ich gedacht, werde ich mich nur an das rattern des zuges erinnern, der draußen vorbei fuhr, vierzig güterwaggons und zwei loks.

Altaussee

Du warst noch einen atemzug von mir entfernt. Es regnete. Der see lag in wolken, die berge im grau. Eine plätte trieb auf dem wasser. Wir gingen seite an seite bis zum hinteren ende des sees, wo sich der wildbach aus dem Toten Gebirge herunter stürzt. Von dort sieht man bei gutem wetter über dem dorf das bergmassiv und den gletscher in der ferne. Ich sah in der kalten luft deinen atem, der ganz warm war vom schnellen gehen. Erst jetzt sprachen wir. Auch von dem beinhaus drüben in Hallstatt, wo sie die schädel der toten aufgeschichtet und mit bauernmalerei bunt verziert hatten. Und von den ausgrabungen weiter oben im tal. Auf dem rückweg kamen wir an dem marterl vorbei. Die luft unserer atem vermischte sich mit dem regen, unsere stimmen vermischten sich mit den wellen.

Die Hintere Sandlingalm lag verlassen, die Vordere zeugte vom bergsturz. Manchmal bewegt sich liebe wie salz, manchmal wie ein turbidit. Das felsgrau des Tressensteins unterschied sich nicht vom grau der wolken. Die berge sind nichts für einen fremden.

[aus „brackisch“, 2010]

Nein, wald war dort keiner,

nur offenes gras- und buschland, ein fluss, alles war brackisch, und irgendwo ganz weit in der ferne das meer. Ich habe es mehr erahnt als wirklich gesehen und nur daran erkannt, dass ich plötzlich an dich denken musste, du liebst doch das meer so sehr.

Und auf einmal wurde ich ruhig, ganz ruhig. Und dann habe ich meine lippen nach deinem namen bewegt und gehört, wie das meer rauscht, wie die wellen an den strand schlagen, und der wind deinen namen gegen das land trägt. Ich stand mit den füßen im wasser, weit draußen fuhr ein großes weißes schiff, der horizont leuchtete. Und ich schmeckte die salzluft und die süße deiner haut und wieder die salzluft, und du hast etwas gesagt, aber das habe ich nicht verstanden, denn auf einmal war alles wieder brackisch, und der wald hat gerauscht, fast wie das meer.

dichter:leben

In einem früheren leben war ich dichter. Ich schrieb nur ein einziges gedicht, ein liebesgedicht. Eigentlich schrieb ich es nicht einmal, ich dachte es mir nur aus, sagte es im innern immer wieder auf, damit ich es eines tages meiner angebeteten vorsprechen könnte. Im grunde genommen glaube ich nicht an frühere leben, aber: es ist gut, dass ich eine zweite chance habe für ein liebesgedicht. Als titel trägt es deinen namen.

Los

Aufgetauter Empirismus. Immanenter Empfindungsmechanismus.

Ihre Leichensteine liegen in Uns. blank. milchigrot. Ihr Lachen verblasst

an den Handlungen. Alles, der Gegen ward.

Es ist dein Farbenfrohes, Gewand, das dich wie ein Papagei durch die Wüste fliegen lässt. Eine Zypresse auf Ödlandkresse. Ein Moosfarn, Allmacht des Grün´s .

Gegrüßet sei das Reagenzglas im Schlamm, rot braun entgilbt – Krokodil im Ventil glänzt mit weichen Augen, Luftinstinkt. Trinke die gurgelnden Laute ihrer Zauberwelten heraus.

Zelt im Skat, wen humpelt´s?

Strandfiguren

(aus der Rubrik: Lauschers Last)

Sie wünschen bitte ? Eine Wurst. Mit Senf oder Ketchup ? Senf. Das dauert aber. Ich muss sie erst warm machen. Macht nichts. Haben Sie Cola ? Ja. Haben Sie das da drüben gesehn ? Ja. Jede Nacht was anderes. Man kann froh sein wenn früh die Hütte noch steht. Auf der Uferpromenade hat sich eine kleine Menschentraube gebildet. Wer sowas wohl macht ? Immer dasselbe. Der Eismann von gegenüber schiebt seinen Wagen unauffällig ein Stück näher an die zerschlagene Sandsteinfigur heran, das Geschäft floriert, zitrusgelbe Eisstengel gleiten rein und raus zwischen andächtigen Lippen. Der Kopf liegt dort hinten. Prügeln müsste man sowas ! Damit erreichen Sie gar nichts. Klecks nicht Albert. Albert fährt mit seiner erstaunlich gelenkigen Zunge über seinen Mundwinkel und versucht, den sämigen Tropfen aufzuhalten, der sich langsam und gelb an seinem Kinn herunterschiebt. War das wertvoll ? Ich muss mal. Nimm ein Taschentuch. Hängen bloß rum. Ich geh doch sowieso gleich ins Wasser. Bei der Regierung. Bestimmt nicht echt. Was das kostet. Kein Wunder. Alles vom Steuerzahler. Du klebst. Das weiß ich von meinem Schwager. Der kennt da jemand. Ihre Wurst ist fertig. Die kleine Aufregung verglüht in der Mittagshitze wie ein Streichholz. Ein kurzes Flackern und aus. Dann geht alles wieder seinen gewohnten Gang. Hin zur Decke. Schutzfaktor 30.