Vom toten Kind

Tote Kinder hat man nicht nur lieb.
Verletzt, verkrümmt durch’s Fehlen
Trübt sich das Bild und darf’s nicht sein.

Ist Lücke mit offenen Rändern,
Schlund und Geschwür,
Ein Wiedergänger; darf’s nicht sein.

Klagemauer, steinern stumm,
So blindlinks einfach fort-
Gegangen – darf’s nicht sein.

Tortur beständig beim Erinnern,
Lächelnd wie ein Messer –
Schmerzhaft-schädlich – darf’s nicht sein.

Und hört nicht auf, macht weiter,
Kommt zurück in Schüben –
Ist ein Duft, ein Hauch und darf’s nicht sein.

Shrimps

Ein Zeichen.
Kurz vorm Verblassen
des Zimmers.

Er ging zu den
Fenstern um
sie zu schließen.

In Messingständern
Kerzen, gezündet
gelangweilt, dumm

sein Plagiat,
Fischsauce
mit Shrimps,

der Nachdruck
von Original und Kopie.
Die Zunge trennt
Hühnerhaut
von Fleisch.

Beherrscht, der
Junge an Eduards
Seite so
hervor
ragend ver-
knöpft mit
dem Bild

einer
eingelegten Olive,
dahinter nun
angenehm der Geruch
von Vetiver.

Fragment

I

Zuerst entdeckte ich meine Einsamkeit in einem Teich. Sie schwamm an der Wasseroberfläche und kräuselte sich in einem Lächeln. Dünne Falten bewegten sich hin und her. Sie wirkte freundlich und erschreckte mich nicht. Doch als ich einen kleinen Stein auf sie warf, wurden die Wasserfalten tiefer, schwankten heftig, und ein neuer Ernst drang in mein Leben.
Manchmal nannte ich Vater Rabenkrähe, so unnahbar streifte er den Rand meiner Welt. Er kam selten zum Teich, und wenn ich auf ihn zulief, flog er davon. Mutter war der Adler. Jeden Tag zog sie über mir Kreise, doch auch sie konnte ich nie greifen. Ich hatte nur eine Feder von ihr, die auf meinem Pult stand.
Ich sah oft schöne Menschen an unserem Garten vorbeilaufen, Menschen mit einem Ziel. Ich hatte keines. Deshalb sprang ich vom Bordstein zur Hecke und wieder zurück, nie geradeaus. Mutter ging nicht gern mit mir spazieren. Sie nannte mich flatterhaft. „Kannst du nicht ordentlich laufen?“, sagte sie immer. „Du bist doch schon fünf.“ Dabei tat ich es nur wie die Schnecken, denen ich im Garten eine Rennbahn gebaut hatte.

II

Das Krankenbett meiner Liebe ist grau. Ich habe es so angeordnet, damit der Verfall weniger sichtbar wird. Sie liegt dort zwischen verbrauchten Laken und Decken, das Gesicht von Falten durchzogen. „Wir können nichts mehr für sie tun“, hatte mir der Arzt im Vorbeigehen gesagt.
Seitdem sitze ich an ihrer Bettkante und schaue ihr dabei zu, wie sie immer weniger wird.

III

Heute Nacht hatte ich einen Traum. Mir wurde auferlegt, Pferde in den Stall zurückzuführen. Jedes Pferd hatte seinen festen Platz. Die Tiere bockten, und ich zerrte an ihren Zügeln und rief Namen. Immer wenn etwas in mir starb,  kam ein neues Pferd hinzu, das ich in seine Box bringen und festbinden sollte. Es wieherte, reckte den Hals in die Luft, bäumte sich auf und lief in wildem Zickzack hin und her. Sein Rückenfell sträubte sich, und die Augen waren von roten Rändern unterlaufen.

Überall dort, wo meine Liebe nicht ist, stürzt ein Pferd auf mich zu. Ich mag keine Pferde. Auch keine Krähen und Adler. Nur der Katze vertraute ich, die manchmal durch eine offene Stelle in der Hecke herbeischlich. An guten Tagen vertraute ich auch der Einsamkeit, die mich aus dem Wasserspiegel anblickte. Gute Tage waren selten.

Plötzlich

ist es wieder
4. Januar, Zeit
für ein Gedicht –

am Bosporus
werden Bomben
gezündet – warum?

In Bagdad sprengt
sich ein Mann
selbst in die Luft…

Für den Weg
nach Bagdad brauchte
man einmal zwei Wochen,

mit dem Flugzeug
geht es schneller.
Raketen bringen Satelliten

ins All, wessen
All? Das All
einiger,

Manche haben die
Möglichkeit. Denken
aber

können alle, welch
Widerspruch … die
Wünsche

eine Maschine,
und wir
sind Papst

Nikolaus
Weihnachtsmann – –
Oster

hase, Hasen
fuß oder
Fußfessel

Themen oder Stile? Über einen müßigen Streit innerhalb der sog. >Ästhetik (plusprobleme)

* * *

Schnee (2)

Nicht
alles Gute
ist es auch

__________________ Kraba

Was ist mathematische Vernunft? Ein Bewusstsein der Regeln des Prädikatenkalküls erster Stufe, verbunden mit der Fähigkeit eine Mannigfaltigkeit in der >>Anschauung unter einen Begriff – d.i. eine allgemeine Regel – zu subsumieren: also – – irgendetwas – – von der – – – Art – – –
formales Denken + Urteilskraft = >>>nach dem Vorbild der Mathematik aufgefasste

Das Kind,

der Hypochonder:
ich will – nein
du sollst – schluchz,
später gezielte
Beharrung, ein Meteorit
auf seiner para
bolischen, hyperbolischen
ja vielleicht sogar
elliptischen Bahn – nein,
keine Beschwörung
dunkler Materie
*
Energie gar,
die Energien dieses
Wesens ein Selbst aus
Raum & Zeit _ Jamais
QUAND BIEN MÉME LANCÉ DANS DES
CIRCONSTANCES ÉTERNELLES
ob mit oder ohne
Worte „mit ohne“
hat hat
immer
selbst eine Meinung
* *
Hypochonder ruft Anachonda,
Basis Winde Stein Kerne Flug
Basis Anabasis oder einfach
die Drehung,
Be
weg
ung in sich
aus sich / selbst heraus
Toute Pensée émet un Coup de Dés

Wortwortwort

Als Foucaust den
Holocault entdeckte
wurde ihm
schwindelich

Eine neue Genuss?
Soziomos dalitätärä?
Tä-tä-towie-ru
kunst

voll knapp
unter die Haut
des Denkorgans
pro

jizier-t,
ji & jang –
„forever“:
Techno log.i/ie//e
_____________a?

Sex bei erhöhter Temperatur

Als es
kälter zu werden
begann:

kälter, da
packten wir
die Koffer,
ließen Eduard,
den Verblüfften, den
Apathischen
allein.

Vyvyan und ich
(wie Lou und René)
in Eduards Wohnung
mit den Dattelpalmen,
den Zwergenhaften

allein:
Sie, die ständig
Wasser brauchten,

Kannen von Wasser,
und Licht
und Wärme

zum Überleben.

Auf der Türschwelle
war der Abschied
lau.

Nun sei es Zeit,
nach Davos zu gehen:

drei Wochen Husten,
ein malender
Bazillenträger,
froh, dass er
verschwand.

Vierona

Heute sitze
ich nicht
bei Regen
vor dem
Spiegel,

ich habe
die Spiegel
aus dem Haus
verbannt, alle
bis auf einen.

Er zeigt
das Profil.

Schwarz-Weiß,
den Frisier-
umhang der Mutter
schief um die
Schultern, die ergraute
Spitze am Hals
fixiert.

Ich gehe beinahe über-
all, bei Regen,
in den Park,
an den Kanal,
auf die Straße,

ich fürchte, ich
könnte mich
erkälten.

Gedicht

Wenn da nicht dieses Wort wäre –
es steht immer oben, die Leser
lesen es als erstes –
man könnte glauben, da wäre
nichts.

Denn da ist nichts weiter, nichts
was die vielen Worte
rechtfertigen würde, die so regelmäßig –
ja-ja, nur Druckausgleich –
darum gemacht werden.

Viel Wind um nichts, so fügt es sich
zusammen, dieses eigenartige
etwas, so hartnäckig versteckt
in den Ritzen dazwischen.

Dazwischen aber ist nichts. Und obwohl –
auch obwohl ist dazwischen – ob
wohl dazwischen etwas
zu finden wäre (mir ist nicht
wohl beim Suchen, nicht wohl)
der Wind durch die Ritzen fegt:

immer dasselbe, immer
& nichts
als dasselbe, desselbe

Wortwortwort

27-1-X

Zur politischen Strategie der AFD

Aus einem Wahlkampfpapier der AFD: „Je nervöser und unfairer die Altparteien auf die Provokationen reagieren, desto besser.“

1. machen Sie auf sich aufmerksam, indem Sie die Farbe auf hell umstellen.
2. lassen Sie Ihr Opfer glauben, es könnte Sie leicht mit dem Finger zerdrücken, aber bleiben Sie starr.
3. hoffen Sie nun, dass es sich um ein naturwissenschaftlich-intellektuelles Opfer handelt, das Sie untersuchen will. Hoffen Sie außerdem, dass es an starker Kurzsichtigkeit leidet und seine Brille abnimmt, um Sie aus unmittelbarer Nähe beobachten zu können.
4. Haben alle 3 Punkte gut funktioniert und Sie sind noch am Leben, gehen Sie zum Angriff über. Springen Sie dem Opfer unmittelbar ins Auge, bohren Sie sich ein und beginnen Sie mit der Eiablage. Sie sind jetzt zweifellos auf der Gewinnerseite im evolutionären Wettkampf. Herzlichen Glückwunsch!

 

Reden wir doch mal über…

…die Rede des Björn Höcke.

Denn hierzu gibt es Bedürfnisse, gesehen in den Kommentaren zum Beitrag „Straight rechts“. Bedürfnissen sollte man nachgeben, alles andere wäre eine Unterdrückung seiner selbst und führt im schlimmsten Fall zu Verstopfungen. Und dann wäre die braune Soße in einem selbst. Das ist nicht schön, also raus damit.

Der Björn Höcke, der übrigens ein beurlaubter Sport- und Geschichtslehrer ist (ja! Geschichte. Fürs Gymnasium.), also der Björn Höcke wollte keine Verstopfung riskieren. Er suchte sich eine kleine Kloake in Dresden (der Osten, wieder mal der Osten) aus, um sich zu entleeren. Oder besser noch: Um seinen Kopf- und Darminhalt (das ist bei Leuten seiner Gesinnung eins) über und in die Köpfe der Anwesenden zu schütten. Und die fanden das klassse, applaudierten, johlten und gröllten. Deutschland, Deutschland. Wir sind das Volk. Und: Höcke, Höcke. Da gab es zwei-drei Claqueure und schon stand das Völklein auf und freute sich! Als der Höcke sagte, dass hier in Deutschland ganz viele kluge Köpfe lebten, die geniale Ideen hatten, da konnte er sie nicht alle aufzählen. Ich auch nicht. Es sind zu viele. Wir hatten ja nicht nur den ollen Goethe. Da war noch der Heine, der Morgenstern und der Karl Marx, die Else Lasker-Schüler, der Adorno und die Arendt. Der Born und der Einstein. Liebermann, Feuchtwanger, Fromm. Tucholsky! Remarque! Mein Gott, so viele…

Und der Höcke meinte, unsere Kinder sollten in der Schule nicht immer so was grausiges über die deutsche Geschichte hören. Die würden ja schon ganz rammdösig werden vor lauter mea culpa. Das wäre jetzt endlich mal gut mit dem Gejammere über das ach so böse Deutsche Reich. Freuen sollten wir uns alle! Das es uns gut geht, das wir stark waren und wieder sind. Und vor allem waren. Also, das wir waren. Das ist überhaupt die zentrale Botschaft des ehemaligen Gymnasiallehrers Björn Höcke: Wir waren mal wer! Und nun werden wir mehr. Und das Mehr kommt übers Meer. Und das will Höcke nicht mehr.

So. Was machen wir nun mit der Rede? Anschauen. Anhören. Rhetorisch übrigens ganz gut gestaltete Rede. Ist eben vom Fach, der Depp. Also der Höcke, der Björn. Ich sag euch: Macht euch darüber Gedanken! Was wollt ihr dem entgegnen? Das sind nicht fünf oder zwanzig Leute. Und die sind leider Gottes auch nicht alle dumm im Hirn. Die sind unter uns. Im Kindergartenbeirat, im Schulverein, auf der Arbeit, in der Hochschule, Straßenbahn, Bus. Im Theater, im Kino. Im Supermarkt, Altenheim… ÜBERALL! Eine schleichende Invasion. Wie Scheißhausfliegen. So. Damit bin ich wieder bei der braunen Soße und der Verstopfung. Alles muss raus. Höckes Dummheit. Meine Antwort.

* * *

frau kleist, ihre literarischen qualitäten in allen ehren – doch jedesmal, wenn sie sich in die höhen theoretischen denkens erheben wollen, patschen sie statt dessen gegen die nächste fensterscheibe – zu dicht bei scherings industriegebäude angekommen – oder von der untergehenden sonne geblendet?

Das Testament der Gräfin Ulrike – Kapitel 8

Das Testament der Gräfin Ulrike, Kapitel 8

Die Gräfin war nicht zufrieden mit ihrer neuen Nichte. Die machte sich nicht nützlich, lag den ganzen Tag in ihrem Zimmer herum, rauchte die kostbaren alten Tapeten voll, und abends zog sie über Marietta und Joshua her oder langweilte mit Gesprächen über irgendwelche Fernsehstars.Nach ihrem Vater, dem Grafen Eduard, kam sie jedenfalls nicht.

Mitunter kamen der Gräfin Zweifel, ob diese Daniela wirklich ihre Nichte war und nicht etwa eine Schwindlerin. Doch die Papiere, die Daniela ihr vorgelegt hatte, waren echt. Sie war in der Tat die Tochter des verstorbenen Grafen Eduard. Dennoch, erst als sie sich überzeugt hatte, dass Daniela Namen aus der weitentfernten Bekanntschaft der Rheinsteins nannte, die der Gräfin schon lange entfallen waren, gab sie ihr Misstrauen auf.

Da musste sie also noch einmal in die Stadt fahren, zu Dr. Wettlinger. Der Gute beschwerte sich nicht, aber ihr entging nicht, dass sein Unverständnis von Mal zu Mal gewachsen war. Das verbarg er hinter einem verbindlichen Lächeln. Aber beschweren konnte sie sich nicht über ihn. Bisher hatte er alle ihre Änderungswünsche prompt und korrekt erledigt.

***

Daniela streifte gelangweilt durch den Schlosspark. Schon von fern sah sie: Der Gärtner Joshua, die stattliche Erscheinung, war mit einem Rhododendronbusch beschäftigt. Sie schlich sich in seinem Rücken heran und hielt ihm die Augen zu. „Wer bin ich?“, fragte sie übermütig.

Joshua versuchte sich Danielas zu erwehren. „Aber Gräfin!“ Er schüttelte den Kopf. Die Nichte der Gräfin benahm sich nicht so, wie sie sollte. Er hatte sich, so gut es ging, immer vom Schloss ferngehalten, niemals hätte er sich jemandem dort aufgedrängt. Aber nun kam die Nichte der Gräfin hierher und versuchte mit ihm anzubändeln.

„Was hast du denn, Joshua?“ Daniela lachte. „Nur nicht so prüde! Wir sind doch alle Menschen! Auch wenn ich eine Gräfin bin! Und du bist schließlich das einzige männliche Wesen hier in dieser Einöde, da kommt eine Frau schon mal auf Gedanken, die …“
Sie sprach ihren Satz nicht zu Ende, sie war wohl zu weit gegangen.

Joshua verbarg seine Gedanken. Er wandte sich brüsk wieder dem Rhododendronbusch zu und ließ Daniela stehen. Die drehte sich auf dem Absatz herum. Dieser Tölpel! Das sollte er büßen! Sie so zu beschämen! Dieser Lakai! Dankbar sollte er ihr sein, dass sie sich überhaupt für ihn interessierte!

***

Baronin Lichterfeld fuhr wieder mal in ihrem Cabrio vor. Wie immer hatte sie es eilig. Marietta war nicht verwundert, als sie sah, dass die nicht mehr junge Frau die Freitreppe hinaufstürmte.

„Ulrike, Liebste!“ Baronin Lichterfeld warf sich der Freundin in die Arme. „Erstaunliches geschieht! Du ahnst es nicht!“

Gräfin Ulrike lächelte, sie kannte das hitzige Temperament der Freundin zu gut. „Wenn du die Güte hättest, meine Liebe, mir anzudeuten, worum es sich handelt?“

„Eine Hochzeit, Ulrike. In meinem Hause! Mein Ältester will sich endlich unter das Joch beugen. Du kommst doch? Ich lass dich abholen. In zwei Wochen! Ach, Ulrike“, die Baronin seufzte. „Eine Sorge bin ich los. Nun muss ich noch die beiden anderen standesgemäß verheiraten. Sei froh, dass du damit nichts zu tun hast! Die Aufregung, nirgends ein Fleckchen, an dem man allein sein kann, überall Pakete und herumliegende Papiere. Und die Leute – schrecklich! Diese vielen Leute! Ich kann dir sagen, alle hoffen, für sie fällt auch etwas ab. Und, Ulrike, bring deine Nichte mit. Sie wird sich freuen, auch mal unter Menschen zu kommen. Ist doch wohl ein bisschen einsam hier für sie, nicht wahr?“

„Einsam? Für Daniela? Daran habe ich noch gar nicht gedacht. – Und du meinst, sie langweilt sich hier? Ich habe sie doch gefragt, ob es ihr hier gefällt, und sie war ganz begeistert. Du meinst, sie hat mir etwas vorgespielt?“

„Das meine ich nicht nur. Es liegt doch auf der Hand: eine attraktive junge Frau der besten Gesellschaft und dieses Monsterschloss! Die einzige Unterhaltung: dich. Eine alte Frau. Und der Gärtner und die Köchin. Glasklar, dass sie sich hier zu Tode langweilt, da muss ich nicht hellsehen können!“

Gräfin Ulrike sah der Freundin sehr nachdenklich ins Gesicht.

„Und mich vergisst du! Jeden Abend sitzt sie bei mir am Tisch. Ich würde gern mal einen Abend allein sein, aber nein – sie kommt und liegt mir in den Ohren. Mal war Marietta zu unfreundlich, mal der Joshua. Und ich glaube sogar, sie will Joshua hinausekeln. Aber eines sage ich dir: Eher trenne ich mich von meiner Nicht als von meinem Gärtner. Joshua, ein Mensch mit goldenen Händen …“

„Siehst du. Du sagst es selbst. Sie legt sich sogar mit deinem Personal an. Ach, Ulrike. Als wir so jung waren, saßen wir doch auch nicht brav wie Pastorentöchter am Ofen. Wir sind zu Bällen gefahren und nachts erst heimgekehrt. Junge Menschen brauchen eben ein bisschen Unterhaltung.“

„Ja, du sagst es. – Ich werde sehen, was sich tun lässt. Vielleicht schicke ich sie heute nachmittag mit Joshua in die Stadt. Er will einen neuen Rasenmäher kaufen, der alte hat endgültig den Geist aufgegeben.“

„Einen neuen Rasenmäher! Was brauchst du einen neuen Rasenmäher? Was sage ich dir seit Jahren, Ulrike? Gib das Schloss auf und zieh in eine kleine Villa in der Stadt. Ist übrigens auch entschieden billiger, falls du mich fragst.“

„Ach, Liebste, liebe gute Freundin. Ich kann mich nun mal nicht trennen von diesem alten Gemäuer, so gern ich es auch täte. Hier habe ich mein ganzes Leben verbracht. Auf meine alten Tage umziehen? In die Stadt? Nein, verlang das nicht.“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Mute mir das nicht zu. Hier habe ich gelebt, hier will ich auch sterben.“

„Dir ist einfach nicht zu raten.“

„Fürs Raten habe ich Dr. Wettlinger.“ Gräfin Ulrike lachte. „Und seine Ratschläge bereiten mir mehr als Kopfzerbrechen. Stell dir vor: Er meint, ich sollte das Schloss nicht dem Kunstverein vermachen, sondern Daniela damit abfinden. Neben einer gehörigen Summe. Natürlich. Sie sei bei ihm gewesen und habe angedeutet, dass sie mit dem Schloss rechne.“

„Dann gibst du ihr eben den alten Kasten! Soll sie damit glücklich werden. Schert es dich, wenn du in der Familiengruft liegst?“

„Aber ich habe das Schloss doch schon dem Kunstverein versprochen. Die Stadt rechnet damit! Wie stehe ich denn da, wenn ich jetzt sage, April, April, ihr könnte eure Ausstellungen weiter in den kleinen Räumen am Markt veranstalten?“

„Du musst wissen, was du tust.“

„Leider. Wir Alten müssen alles wissen und alles richten, und die Jungen machen sich einen schönen Tag. Auf Kosten meiner Nerven.“

Baronin Lichterfeld seufzte. „Wie recht du hast. Wenn ich nur an die Hochzeit denke. Alles ruht auf meinen Schultern. Mein Sohn – vergiss ihn! Der lässt sich bis zur Hochzeit nicht mehr zu Hause blicken. – Aber ich habe es eilig, Liebste. Ich wollte dir nur die kleine Überraschung aus dem Hause Lichterfeld mitteilen.“

Die beiden Freundinnen umarmten sich innig. „Ach, Liebste“, sagte Gräfin Ulrike, „wenn ich doch bloß schon die Augen schließen könnte …“

„Denk nicht daran! Du mit deiner Konstitution wirst hundert Jahre alt. Und deine Daniela wird sich umsehen, wie lange sie auf das Erbe warten darf. Ist dir das keine Genugtuung?“

Selbsthilfe zuerst

Ein alter Mann.
Wie’s aussieht, gutsituiert,
keiner von ganz unten. Liegt auf der
Straße. Mitten auf dem Weg.

Peinlich das.
Besser nicht hinsehen.
Was denkt der Alte sich eigentlich?
Hier herumzuliegen?

Ein kurzer Gedanke:
Gestürzt vielleicht. Man müsste
ihm aufhelfen. Ach was, saublöde Idee!
Wozu sind Zuständige da?

Und du tust,
was alle hier tun: Steigst über ihn hinweg.
Du bist nicht gern die Ausnahme.
Wäre doch peinlich.

Schwarzbraune Soße?

von

Am Zaun gibt es keine Klingel, am Briefkasten steht kein Name. Trotzdem wissen alle in der Zehlendorfer Königstraße, im Südwesten der Hauptstadt, wer in dieser Stadtvilla zwischen Tannen und Birken zu Hause ist. Und die Bewohner wollen es auch gar nicht verheimlichen.

Ein Sandweg führt zum Haus, davor drei leere Parkplätze, ein paar Fahrräder neben der Tür. In der Mittagssonne hängt eine Deutschlandfahne von der eierschalenfarbenen Wand. Aus dem zweiten Stock reckt sich eine Terrasse, darüber ein meterhohes Schild in Orange, Weiß, Schwarz. Es ist das Wappen der „Gothia“, einer 1877 gegründeten Burschenschaft, Wahlspruch: „furchtlos und beharrlich“.

Um Burschenschaften im Allgemeinen und die Gothia im Besonderen, gab es zuletzt viel Wirbel. In der Opposition im Berliner Abgeordnetenhaus halten viele die Gothia für eine gefährliche Melange aus Nationalkonservativen und Rechtsradikalen. Nach monatelangem Druck hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit kürzlich ein Gothia-Mitglied entlassen: An diesem Sonntag endet die Amtszeit von Michael Büge. Der CDU-Politiker war bislang Staatssekretär für Soziales.

Büge wollte die Gothia partout nicht verlassen, selbst um den Preis seines Amtes. Warum bleibt ein Politiker lieber in seiner Burschenschaft als in seiner Landesregierung? Was macht das eine wichtiger als das andere? Eine Frage der Ehre? Oder sind Burschenschaften schlicht Karrierenetzwerke, verlässlicher als die Postenverteilung in der Politik?

Burschenschaften waren schon fast in der Versenkung verschwunden

Aus dem Zehlendorfer Verbindungshaus gibt es derzeit keine Antworten. Immerhin war Gothia-Sprecher Thomas Elsholtz, im Hauptberuf PR-Berater, bereit, über den Gesprächswunsch mit seinen Bundesbrüdern zu reden. Ein paar Tage später die Rückmeldung: Der Rummel der vergangenen Monate sei heftig gewesen, man wolle vorerst unter sich bleiben.

Burschenschaften waren schon in der Versenkung verschwunden. Wer ihnen beitritt, ob wegen der Familie, der Überzeugung – Burschenschaften verstehen sich als politische Verbindungen – oder wegen des Studentenzimmers, behält das meist für sich. Seit der Bildungsreform in den 70er Jahren wurde das traditionelle Burschenschaftermilieu bürgerlicher Männer in den Hörsälen kleiner. Arbeiterkinder und Frauen strömten an die Hochschulen. Erst vor zwei Jahren kehrten die Traditionsverbindungen schlagartig ins Bewusstsein zurück. In der Deutschen Burschenschaft – dem Dachverband, dem die Gothia angehört – wurde über die Abstammung eines deutsch-chinesischen Studenten gestritten. Und ein Bonner Burschenschafter erklärte den im KZ ermordeten Dietrich Bonhoeffer zum „Landesverräter“.

(Der Tagesspiegel, 29.06.2013)

Straight Rechts

In B. wolltest du eigentlich feiern

also musstest du nach H.

bereits vor dem Tag eiern.

Die Hinfahrt wurde bereits etwas schwierig

Die Straßen waren leider sehr schmierig

Bei Sturm und bei Kälte kamst du hier an

die Vielfalt der Großstadt zog dich in ihren Bann.

Den Weg zu finden fiel dir sehr schwer

du fuhrst geradeaus und wir sah’n dich nicht mehr.

 

***

Bei Horten.

Wir müssen Dir eine neue Hose kaufen.

Im ersten Stock bei Horten gibt’s Hosen für jedermann.

keine Maßanzüge, keine

Anmassung:

die passen auch Dir.

Königsberg ist meine Heimat

Von der Stange:

Zieh’ das mal an.

Siehst Du, das passt. zieh’ den Bauch etwas ein

hast Du die Spritze dabei.

Die Beleuchtung macht

Zweidimensional

Ihr habe alle kein Nationalgefühl

los zieh das an.

Käsebleich

Mutters Hand auf braunem kort.

Da kriste eine jeklatscht, wennde das nicht machst.

Kabine rein, Hose hoch.

Zuhauseneuehose.

 

Quelle: Diese Texte stammen aus den frühen 80er Jahren, als in der Bundesrepublik sog. „rechtes Denken“ unter Jugendlichen wieder in Mode kam – als Gegenbewegung zur alternativen Linken. Der Autor, der in gutem Sinne „Agitprop“ genannt werden kann, zieht es vor, anonym zu bleiben. Er hatte sich damals in sogenannnte „Burschenschaftstreffen“ eingeklinkt und die Szene dort beobachtet, in seinen eigenen Worten festgehalten. Er zog sich später aus Feigheit zurück und veröffentlichte nie etwas davon. Es ist ihm leider nicht gut bekommen. Er hat nun ein Leberleiden auf der rechten Seite.