Laterna Magica

„Gerade dir muss doch klar sein, dass es solche schrägen Vögel gibt. Die nicht nur im Garten rumhumpeln, sondern sich kreativ betätigen wollen. Was also hast du gegen die Idee?“, hatte Eduard einen Monat zuvor gefragt, die Visitenkarte einer Kurklinik in der Hand.

Seine Eifersucht war ein Spiegel, aus den Scherben der Geschwätzigkeit zusammengekehrt.

Sie zogen in eine Stipendiatenwohnung neben dem Kurgarten. Eine Künstlerwohnung, nannten sie es. Stipendiaten einer Stiftung für betreutes Wohnen und Kurheime, das war es, was die Gemälde ihnen eingebracht hatten. Die Vergeber dieser Stipendien waren nicht kleinlich. Morgens frische Äpfel. Ein eigener Balkon. Esther klappte zuweilen das Visier ihres propellerartigen Sommerhutes nach oben, um ihnen in die Augen zu sehen. „Alte und Kranke, unsere Arbeitgeber. Keine Pflegefälle, sondern schimpfende Geister.“

Vyvyan: „Ich werde regelmäßig bezahlt, die Leute sind wach genug, ich muss ihnen nicht die Hände führen. Hintern wischen überlasse ich Eduard. Miranda sagt, dass er mich immer noch liebt. Ich hingegen liebe meine Schwester, wenn sie so etwas Blumiges sagt. An meinen Augen fliegen langweilige Klischees wie eine Laterna Magica vorbei. Licht- und Feuerstürze. Ich stehe morgens auf und immer ist es heiter. Die Maisonne leuchtet, und die Alten kommen langsam auf den Gedanken, ihre schrumpeligen Finger, die runzlige Hühnerhaut ihrer Hände in Farbeimer zu tauchen.“

Einer, zu nichts als zum Müßiggang begabt, an Eduards Seite.

Er öffnet zeitig die Gardinen und schält sich aus seinem Frack. Sein Haar wird an den Schläfen grau. „Ich bin der Hampelmann und ende damit, diese älteren Herrschaften für Öl und Glanz auf faltigem Papier zu begeistern. Selbst zeitweise pflegebedürftig, gebe ich den Rest meiner fettreduzierten Tage an die AG malende Kurpatienten. Dass Esther nun in der Presseabteilung der Klinik arbeitet, ist ein Muster in Gottes Plan.“

Onkel Albert wiegt den Kopf, und Esther erscheint es wie das Pendeln einer Küchenlampe. Alberts Lieblingssport: „Vyvyan, es ist gut, dass du hier bist. Du machst etwas Solides. Und Esthers Werbetexte gefallen mir, ihre schwarze Schrift neben den Fotos von Gudruns Lebenselixir.“

So führten sie Reden, die das Altern ermöglichten.

crysantheme
Wer eine Crysantheme verblühen lässt oder ihr den Kopf vor ihrer Zeit abschneidet, der erntet zur Strafe nur noch grünes Friedhofskraut.

10 Kommentare

  1. Dicht und klar, Rhythmus stringent. Was noch? Dichter, nicht in dürftiger Zeit; klarer geht ja nicht. Und wenn dichter, dann ohne jeden Vergleich. Ob das ginge?

  2. Das Serielle am Wechsel der Bilder ermüdet, es sei denn, mensch könnte sich voll auf ihn fokussieren. Aber wie ginge das angesichts des Wechsels der immer gleichen Wörter?

    1. Was ist an den Bildern ermüdend seriell – vielleicht gehört das Serielle zum Inhalt. Schon mal darüber nachgedacht? Immer gleiche Wörter … wenn du das schon kritisiert, nenn mir wenigstens ein Beispiel. Du merkst, ich bin in der Lage, alte Sachen wieder aufzuwärmen.

      1. Mittlerweile empfinde ich immer Scham ansichts von Gesten der Selbstverneinung, die ohne eine ersichtliche Not der Verhinderung (pro-) oder Sühne (rezeptiv) von Verbrechen zum Teil der Ewigkeit erklärt werden, indem sagt:

        Die durch Eigennamen evozierten Bilder. Im Epischen a priori beherrschen Sies, Ers und Esse den intuitiven Aufbau der Vorstellungen. Das Bild im Allgemeinen ist in dieser Hinsicht neutral, also unschuldig; so wie die Poesie. Mit den geprägten Figuren erwächst der innere Zwang zur Profilierung, Ausschärfung und Zuspitzung. Ein Offenbleiben diesbezüglicher Konturen sei oder wäre selbst Teil der Strukturierung.
        Problem: Um das Maß solcher Unbestimmtheit bestimmen zu können, braucht es einen Bezugsrahmen, ob nun Genre, Vergleichsobjekt (z.B. Gemälde) oder Protoform [das wäre der erste ästhetische Ausdruck der neuen Form, allerdings nach Fertigstellung des entsprechenden Romans]…Und deshalb kann sich die Benjaminsche These vom Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit nicht auf die „Ewigkeitsform des Erzählten“ (was ich das/ein Handeln a priori nennen würde) beziehen.

        1. „Krankheit war ihr Ideal, Stil ihr Medikament.“
          „Sie litten schön – und das war ihr Triumph.“

  3. „Am Donnerstagabend lernte ich Esther kennen. Sie rief mich an, fragte, ob ich der sei der ich bin, und erzählte, dass gesternmorgen ihr Vater verstorben sei. In den Armen seiner Tochter.“

    (3 sätze)

    ..

    X

    Y

  4. die sprache ist unerbittlich. ein roman mit titel: Esther, was würde das für Assoziationen hervorrufen? offenbar wäre der titel geeignet, einen tiefseegraben durchs Publikum zu legen, sprich: zwei konträre rezeptionsweisen voneinander zu scheiden: eine mit und eine ohne Biochemie.
    die sprache des romans im 21. Jahrhundert,
    eine sprache – definition
    eine adäquate form

  5. „Einer, zu nichts als zum Müßiggang begabt, an Eduards Seite.“

    Er starrte auf den Bildschirm. Flimmern, Projekte. Und wie immer die quälende Frage: Wie gelangt man durch all den Alltagsquark hindurch zum Projektil?

    „Der Gegenstand definiert sich nicht mehr durch eine wesentliche Form, sondern erreicht eine reine Funktionalität, wie in der Deklination einer Familie von durch Parameter eingerahmten Kurven, untrennbar von einer Reihe möglicher Deklinationen oder einer Oberfläche mit variabler Krümmung, die er selbst beschreibt.“ (G.D. F. 00/35)

  6. Er öffnet zeitig (1)

    Onkel Albert wiegt (2)

    So führten sie (3)

    (In formaler Hinsicht ist auch der text ein Gedicht, wenn auch kein dichter. Eine Frage der association?)

  7. So führten sie Reden, die das Altern ermöglichten. Onkel Albert lächelte, immer ist es das Herzblut, dessen Stockung zum Tode führt. Und Vyvyan, dieser Nichtsnutz, öffnete das Buch von gestern und las den letzten Absatz:

    Z

    zum zweiten Mal. So sind Texte, deren Wiederholung im Geiste den Charakter einer Beschwörung annimmt, nichtssagend und wirkungsvoll, als sei das Denken ein permanenter Vergleich mit sich selbst und sein Ergebnis die Verdichtung des Gefühls zur Ewigkeit.

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