Traum [10]

Ich versuchte fieberhaft, einen Reißverschluss zu öffnen, der sich verklemmt hatte. Je mehr ich mich anstrengte, diese eine Naht aufzutrennen, mit der sich zwei offenbar gut zueinander passende Hälften aneinander gefügt hatten, umso schwieriger wurde es, überhaupt einen Fortschritt im eigenen Tun zu erkennen. Irgendwo in meinem Leben – gewaltige Gefahr – drückte es mit einer Kraft von tausend Pferden, die man auf enger Weide versammelt hatte und die nun versuchten, auseinander zu stieben. Die Luft war gesäuert von einer knisternden Elektrizität, und irgendwo in diesem Leib musste es einen Ort geben, an dem ein wildgewordener Zwerg ruckend und zuckend um ein qualmendes Feuer herumtanzte und jeden Versuch, ihn auf vernünftige Weise anzusprechen, mit einem schnarrenden Nein! beantwortete.

Wir lagen gemeinsam im Backofen – zwei Brote, deren Wohl und Wehe ganz vom Feuer bestimmt war, mit dem das Leben ihnen einheizte. Eben noch waren unsere Körper zwei labberige Stücken Teig, abhängig in ihrer Chemie vom Wohlwollen aller Dinge, die mit mehr oder minder hektischer Bewegung diesen ewigen Zustand der Welt ausmachen, den sie heute Temperatur nennen, und schon drohte unsere Kruste zu zerspringen – trockene Haut der Erde nach langer Dürre. Es zuckte und zitterte. Ich spürte, wie sich das Magma tief im Inneren einen Weg bahnte, und auf der anderen Seite der Welt heulte der Wind mit kindlicher Katzenstimme I’ve been to Hollywood I’ve been to Redwood.

Ich wachte auf und bemerkte, dass ich mörderisch fror. Zeit aufzustehen, der gestrige Tag begann schon mit seiner ganzen Ungewissheit im Gedächtnis aufzutauchen. Wo nur waren wir hingeraten? Höhen und Senken, Bäume verschiedener Gestalt, Äste und Zweige, feuchter Rauch in den Augen und das endgültige Verglimmen der Hoffnung auf Wärme und Licht. Ich steckte den Kopf aus dem Zelt und erblindete. Diesen Ort hier hatten meine Augen noch nie gesehen. Nichts Gestriges war mir bekannt. Es war still. Wenn man Stille sehen könnte, so sicher, wie ich jetzt sicher bin, dass du hier neben mir liegst, dann wäre auch wahrzunehmen, wie blitzartig aller Lärm aus der Welt verschwindet und die Farbe der Abwesenheit, die Stille des Auges von einem Moment auf den nächsten Besitz von ihr ergreift.

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

6 Kommentare

  1. Der Vitalismus hatte Konkurrenz bekommen vom hedonistischen Pragmatismus. Trotzig in ein Rosenbeet gebettet, pflückte Fräulein Bybyane die duftenden Blütenblätter von den sie mit der Großzügigkeit irdischer Natur darbietenden Gewächsenen ab, welche in Sauerstoff und H2O gedeihen. Die Menschheit notierte, seit der von ihr eigens erfundene Schöpfer aller Kreaturen in rot und gold ihr einen Sohn geschenkt hatte, die Umrundungen ihres Planeten um den Mutterstern akribisch und bezeichnete jene, in welchem Fräulein Bybyane, die aus pikantem Stolz unschuldige, Chlorophyll produzierende Lebensformen entkleidete, mit Chiffre 1983. Bybyane ihrerseits zählte ganze 16 Umrundeungen, was für Vertreter ihrer Lebensform eine noch geringe Anzahl war. Unmerklich änderte sich die Gesinnung der jungen Kreatur. Sie pflückte ein letztes Blatt ab, legte es sich unter das Riechorgan und imaginierte, das Jahr 25 nach diesem Ereignis im elterlichen Garten zu erreichen. Eine Dichterin würde sie sein, dereinst. Sie zückte einen schwarzen filigranen Stab und bewegte ihn auf einer transparenten Oberfläche. „In the year 25 since I first craved 4 all lines must fall by your leave.“ In A-Symmetrie glitt ein Funken weizenfarbenen Spinnenhaars über das Plateau, auf dem Bybyane schrieb, sie zog ihn rasch aus der Kopfhaut seines Besitzers. Dieser spürte nur einen flüchtigen Schmerz, während das Volumen seiner Stimme über Bybyanes Fortpflanzungsorgane ein dauerhaftes Vibrato hinbreitete.

  2. wer möchte schon leben unter dem druck von 90 atmosphären – möchte – vielleicht – aber dürfen hätte er sich nicht getraut.

  3. Die AFD gleicht einem Miniköter, der durch Kläffen und um sich beißen die Hosenbeine der Nachbarparteien nachhaltig traktiert. Aber: Warum hat man sein Haus auch so nahe am Wasser gebaut?

  4. „Besitz von ihr ergreift“ – das ist ziemlich starker Tob

    D ist zwar im N ziemlich nahe dran, aber im S f-trocken

    Vom A ganz zu schweigen, wovon man getrost reden kann

  5. Spaß beiseite: Die AfD ist so häßlich, dass DpA nichts mehr dazu einfällt. Aber bei Minikötern, da gibt es echt sympathische – warum also diese Beleidigung der Winzlinge?

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