Totentanz

 

Totentanz Engel

Die Bischöfe könnten sich freuen über soviel Phantasie. Der Sensenmann geht um, die Kranken und Lahmen werfen sich an seine Brust. Die Büßer im braunen Sackleinen geißeln sich selbst und werden von Engeln erlöst. Der dürre Mann mit dem Lendentuch wird nicht gekreuzigt, aber zur Auferstehung erweckt. Der Herbst ruft Todesstimmung hervor mit trockenen, knisternden Blättern, die vom Gebläse hereingepustet werden. Die Nebelmaschine fügt artig Nebel hinzu. Äpfel rollen auf die Bühne. Frucht. Herbst. Lebenskeim im Sterben. Kreisläufe.

Totentanz Äpfel

Es sind kleine Variationen, mit denen Regisseur und Tänzer Anton Adassinsky die großen, mythenbeladenen, christlichen Bilder vom Tod in Bewegung versetzt, verstört. Aus den Variationen erwächst die Poesie des Tanzes. Die Büßer geißeln nicht nur sich selbst, sondern – beinahe unmerklich – auch mal flott den Rücken des Nachbarn.

Totentanz Büßer

Der Engel mit seinen scheinbar organisch angewachsenen Flügeln ist keine mit sich einige Rettergestalt, sondern spaltet sich in zwei Tänzer auf. Dem Büßerhemd sind die Farben der russischen Nationalflagge aufgenäht.

Der Sensenmann trägt keine Sichel oder Sense, sondern hölzerne Rahmen, die Bildrahmen sein können oder einfach nur die Begrenztheit des Lebens symbolisieren. Wer ihn abgibt, dem armen Sensenmann um den Hals hängt, der unter der Last abgegebener Rahmen fast zusammenbricht, kann fröhlich und geheilt davon eilen.

Totentanz Gerettete

Die Übergänge zwischen den verschiedenen Totentänzen sind nicht immer stimmig, sie geben Rätsel auf – das ist gut so. Das Publikum sieht viel Vertrautes – und wundert sich. Hinter den regulären Zuschauerbänken (man darf auch seitlich am Rand der Bühne sitzen) ist auf einer Leinwand ein Bild aufgespannt, das Höllenvisionen zeigt, die in der Dresdner Dreikönigskirche zu sehen sind (ursprünglich war es als Fries an der Schloßfassade für alle sichtbar angebracht).

Totentanz Bild

Diese Visionen greift der Tanz auf, verstärkt von Orgel- und Synthesizerklängen. Die Bischöfe könnten sich über soviel sakrale Phantasie freuen. Oder umgekehrt: Adassinsky zeigt, wie Poesie unmittelbar aus Religion entspringt.
Derevo: Totentanz, Schaubühne Lindenfels, 12. 8. 2011

Viktor Kalinke
geb. in Jena, Studium der Psychologie und Mathematik in Dresden, Leipzig und Beijing, Kreativitäts-Preis der Hans-Sauer-Stiftung, Mitbegründer der Edition + Galerie Erata, Promotion, Professur, lebt in Leipzig.

2 Kommentare

  1. überprüfe doch bitte mal die semantik deiner wörter: wie-bitteschön-sollen äpfel auf einen haufen rollen??? wer jemals ein häufchen gemacht hat, weiß, dass das scheiße ist…

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