Gras [2, 12]

Das Zimmer liegt nun ganz im Gras. Darinnen ein Brief; am Abhang hinterm Stadion nicht weit entfernt davon versammeln sich noch immer jugendliche Musiker. Die Kachelöfen der Stadt sind fast alle wieder in ihre Kacheln zerlegt, aber die Materie besteht nach wie vor aus Atomen. Von Zeit zu Zeit steigt Rauch auf.

Die Tage entfalten sich wie Halme, die zum Himmel streben. Von Zeit zu Zeit wird einer hinzugefügt. Müssen welche ausfallen, dann sieht sich der Mond genötigt, sein Auge zuzudrücken. Unter der Stadt fließt es und strömt. Das alltägliche Leben entwickelt sich und sucht immer neu nach wilder Wärme für sein Glück. Brownsche Bewegung; manchmal wird ein Gedanke sichtbar.

Dann knistert es leise in diesem Zimmer. Dann beginnen einige der benachbarten Schließzylinder unmerklich zu vibrieren, in anderen erwacht die unerklärliche Sehnsucht, einmal zu Kegeln zu werden. Das Zimmer liegt natürlich noch im gleichen Haus, aber das Haus ist ein anderes geworden. Einige der Bewohner sind weggezogen und haben ihren Platz für Neuankömmlinge frei gemacht, andere wohnen noch immer darin. Sogar Kinder. Nur das Zimmer mit dem Brief…

Zhenja
Künstlername des aus Südrußland stammenden Dichters Jewgeni Sacharow; hob unter nickname Zhenja 2007 gemeinsam mit Gesche Blume und Viktor Kalinke den literarischen Blog www.inskriptionen.de aus der Taufe. Das seit 2009 verwendete Pseudonym stand dabei zunächst Pate für eine Reihe von Versuchen, sich zugleich die Bild- und Klangsprache des 1922 verstorbenen futuristischen Dichters Viktor Vladimirovic Chlebnikov und die Ausdrucksmöglichkeiten des Deutschen als literarischer Nichtmuttersprache zu eigen zu machen. Zunehmende Vermischung eigener Sprachschöpfungsprozesse mit dem Ideenfundus des russischen Avantgardisten bis zur „non-rem-fusion“. Sacharow lebt und arbeitet seit 2008 als Garderobier und freischaffender Autor in Frankfurt am Main. Projekt der beiden in Deutschland ansässigen russischen Dichter Jewgeni Sacharow und Sascha Perow, „Brüder im Namen“. Jewgeni beschäftigt sich seit 1990 mit Drama in - wie er es nennt - Außenprojekten, ich dagegen (Perow) versuche mich gelegentlich an Übersetzungen aus dem Russischen; mein Ziel: Erschaffung eines neuen Dialekts der Weltpoesie, der „Sternensprache“. Wichtig war für unser Inskriptionen-Doppelleben die Begegnung mit der deutschen Dichterin Hanna Fleiss im Winter 2012 in Berlin.

3 Kommentare

  1. Ein Brief, ein Brief, ein Königreich für einen Brief! Brief, die Nachricht, die Gute, die Schlechte, bringt die Handlung voran, dramatisches Element, hier liegt der Brief einfach, keiner öffnet ihn, ach käme doch der Empfänger, zöge er ein in das Haus und schriebe er den Brief!

  2. Sie steht vom Sitz auf, geht zum Fenster und zeigt auf den Winterjasmin, der in diesem milden Dezember gelbe Blüten produziert. „Wusstest du eigentlich, dass du im Oktober gezeugt wurdest? Wir mussten die Zeit ausnutzen, damals, und heute, weil wir alt sind, bei der Gartenarbeit. Ich sage ja, goldener Monat.“ Ich sehe wieder die gelben Tupfer im Rasen. Und die braunen. „Ja, das restliche Laub haben wir auf dem Rasen verteilt. Da sind wir ein bisschen spät drangewesen. Es ließ sich nicht mehr so gut harken. So haben wir viele kleine Häufchen gemacht.“

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