Berufe besichtigen

Wieviele Rezensionen können Redaktionen verkraften? Ein Bruchteil der Bücher, die während eines Jahres erscheinen, werden auf den Feuillettonseiten beachtet. Da hats ein Autor denkbar schwer, alles ins öffentliche Gespräch zu bringen, was er binnen eines Jahres publiziert. Es kann sein, dass ein Buch den Blick auf das andere verstellt. Das ist dem Leipziger Thomas Böhme 2010 geschehen, als er mit seinem alles in den Schatten stellenden Roman „Der Schnakenhascher“ auftauchte. Zum Nachteil einer Sammlung von Gedichten, deren freie, strenge Struktur ihr eigene Art, also Eigenart hat. In der Nachbemerkung zu dem Band „Heikles Handwerk“ mahnt der Lyriker zur Vorsicht und bittet, das Gelieferte nicht „mit Sonetten zu verwechseln“. Na ja, wer ein wenig beschlagen ist mit der Poesie sämtlicher Zeiten, dem wird das Sonettenhafte bei Böhme nicht aus dem Sinn kommen. Gewiß ist, die strikt vierzehnzeiligen Gedichte sind keine strikten Sonette. Sie sind auch keine Prosagedichte, woran dann und wann zu denken ist. Und das nicht nur wegen des sprachlichen Rhythmus´, der von der Sonette hergeleitet ist. „Heikles Handwerk“, mit dem Hinweis „66 Fallstudien“ versehen, lotst die Leser in eine Lyrik, die höchst erzählerischen Inhalts ist.
Thomas Böhme hat ein Museum eingerichtet. In dem sind Handwerksberufe zu besichtigen, die, zumeist, nur noch in Lexikas leben. Böhmes „Verse“ sind keine Versuche der Wiederbelebung. Die Berufe, beziehungsweise Berufsbezeichnungen, sind ihm Anlaß, Rückschau zu riskieren, ohne in ihr zu schwelgen. Jede Rückschau ist auch – oder vor allem – eine Reflektion auf das unmittelbare Jetzt. Dieses Hin- und Herschwingen zwischen den Zeiten, diese Mixtur aus Gestern und Heute, fördert die Lust am Lesen der Texte. Ohne surreal zu sein, hat doch Manches eine sur-realistische Bildhaftigkeit. Sofern der Sinn dafür da ist, so und das zu sehen. Surreales schimmert bei dem Schriftsteller immer durch wie das Erotische, das aus einer nie eindeutig artikulierten Sexualität kommt.
Der Lyriker und Prosaist ist ein Wanderer durch die Welten und zwischen den Welten. Nun zwischen den Berufswelten, die er kaum beschreibt, die er benutzt, um sich seine Phantasie-Welt zu zimmern. So wie das immer ist in der Literatur des Autors: Der unverkennbaren Böhme-Literatur. Das Aufspüren verloren geglaubter Handwerksberufe rechtfertigt, wie so nicht immer, Thomas Böhmes Neigung, verloren geglaubte Vokabeln aufzuspüren. Gedanken und Geschichten werden zu Gedanken-Geschichten, die Gestriges und Gegenwärtiges durch die Sprache harmonisieren. Nicht jeder Gedankengang muß nachvollziehbar sein und nachvollzogen werden. Warum auch? Bliebe dem Autor dann Gelegenheit für die kuriosen Kurven, die seine Gedanken in jede mögliche Richtung gleiten lassen? Die Uneindeutigkeit im Deutlichen, die Deutlichkeit im Uneindeutigen möglich zu machen, ist eine Sache des regen gedanklichen, sprachlichen Spielsinns von Thomas Böhme. Die 66 in „Heikles Handwerk“ zusammengefaßten Vierzehnzeiler ziehen vorüber wie vollgepackte Loren. Fällt dann und wann ein Witz heraus und herunter, werden sie von den Lesern gern aufgelesen.
Thomas Böhme: Heikles Handwerk. 66 Fallstudien. poetenladen: Leipzig 2010. 80 Seiten, Geb.

Ein Kommentar

  1. Eine Kostprobe (S. 22):
    > EIN GLOCKENGIESSER schreitet über die Stoppelfelder.
    Altehrwürdiger Beruf. Kontinuität von der Bronzezeit bis auf des Kaisers Bart. Mit der Absättigung des Marktes schwer unter Hartz4 gespült – selten werden heutzutage Glocken zerschlagen. Viel Zeit zum Nachdenken. Als Erntehelfer glücklich, nächster Auftrag im Frühjahr. Die Vorbereitung beginnt/ zu Neujahr, Novemberbeginn. Das Schreiten ist ein Bagger auf zwei Beinen (…Volker Braun
    > Irgendwo erwartet ihn seine Schwester.
    Der zweite Vers ein zweiter Satz: maximale Freiheit – heißt Unkenntlichkeit – des versgenerierenden Mechanismus. Und dennoch. Das graphische Ohr findet aus Gewohnheit die zweite Zäsur – – Ihn kleingeschrieben. Da sind sie also, der Mensch und ihr Bruder, vereint in zwei Versen, die klingen wie zwei Sätze
    > Er ähnelt ihr, sein Herz jedoch ist viel weicher als ihres.
    Die Einheit zerbricht nun, die Lücke zwischen erst und dann beansprucht eigene Dauer. Die Zäsur aber als Grenze bleibt erhalten – als semantische Ladung: JEDOCH. Es ist nun der Gegensatz, der zwei und eins vermittelt. Zugleich wird die noch präsente Vergangenheit des zuvor Wahrgenommenen zur (vorläufigen) Einheit eines Texts. Der dritte Vers schweißt ersten und zweiten zusammen. Wo er und sie waren, ist nun ihr (3.Plu…) Vergleich. Es ist die Erfindung der Hartherzigkeit. Der Autor gibt sich als Negator chinesischer Weisheit zu erkennen. Yang ist viel weicher als Yin. Emunzipator
    > In den Dörfern hocken die Alten.
    Nun ist die Regel syntaktisch: Ein Satz, ein Vers. Man darf auf die Ausnahmen warten. Ganz sicher werden sie Bedeutung beanspruchen; mit Versachlichung des Genus im Plural verschwindet die Geschlechtlichkeit. Das Menschsein hockt in seinem Leben. Der Vogel landet auf dem Acker, noch sind die Körner & Würmer nicht begraben
    > Sie grüßen nach allen Richtungen.
    Diffuser Humanismus (sie hocken alle ((Verknappung im Ohr; Tendenz etabliebtabliert-der Vers zieht sich zusammen
    > Hühner scharren im Dreck.
    Eine Detonation. Welch schönes Wort. Frische Landluft; das Schöne ist das Häßliche, weil es die Sinne reizt. Den Hühners sind die Jahrszeilen egal; ihre Wohnung rundum beheizt
    > Von den Wänden bröckelt der Lehm
    > und die Schindeln der Dächer sind durchgefault.
    Die erwartete versosyntaktische Ausnahme. Das Lied vom Tod, erste Einstellung. Die landluft Scheint so frisch wie selten. Die Spannung steigt. Interessant die rhetorische Pleonastik: SCHINDELn der Dächer. das Wort unter dach SEINES genitvs. Robert, viele Grüße bis boald amal
    > Die Schwester trägt einen Brief in ihrem Strumpfband…
    Nun also explodiert der Kontext. man Hat es vorher wissen können. Weit dehnen sich die Stoppelfelder, weit weithin, bis ins neunzehnte Jahrhundert

    Höre amal auf mipm Erklärn. Viell Spasss beim Lesn! 15,80 sind weniger als nichts, und wie es weiter geht in diesem gedicht – ollalah, die Sonne ist groß und im Frühjahr sehr zart.

    Grüße von Andrjusch-T. AUWIEHÖ

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert