Abstrakte Menge

<> für Alain Badiou

1
In den Himmeln hinter unseren Blicken
Wohnen die Dinge. Nicht die Dinge
Zwischen unseren Fingern, nicht die
Dinge zwischen unseren Augen –
Die Ideen der Dinge. Welcher Dinge?

Dinge aus Klängen gemacht, Dinge
Die man abtastet mit den Stimm-
Bändern, Dinge die vibrieren. Es
Sammeln sich die Klänge zu
Unfassbarer Ähnlichkeit. Ähnlichkeit?

Die Dinge seien verwandt, sagt man.
Alle Dinge sollen verwandt sein. Und
Doch treten sie auseinander, treten
Sie ein in den Raum vor unseren Augen:
In die Himmel hinter unseren Blicken.

2
Wir verbinden die Dinge mit Fäden
Damit sie sich nicht voneinander
Entfernen. Wir sind verbunden
Mit Fäden, damit wir uns
Nicht voneinander entfernen.

Selbst sind wir Fäden, gewoben
Zwischen die Dinge, damit sie sich
Ihrer Ähnlichkeit gewiss bleiben.
Fäden zwischen den Dingen sind wir
Die Welt einhüllende Gespinste.

Wir wohnen zwischen den Dingen
Die uns umgeben wie wir die Sonne.
Wir wohnen mit den Dingen auf
Einer rotierenden Scheibe, und ihr
Kreisen macht uns der Sonne ähnlich.

3
Das Kreisen in der Brust ist ein
Strudel im Herzen. Die unsichtbare
Bewegung erregt unser Mitgefühl
Mit den unsichtbaren Dingen
Denen wir ähnlich sind. Ähnlich?

Das Ziehen der Wolken am Himmel
Lässt uns zurück in Erwartung der
Bilder, gestochen scharfe Kontur, die
Mit dem Licht verschwindet, so
Wie auch wir verschwinden im Schlaf.

Ähnlich? Im Schlaf werden wir uns
Ähnlich, Elemente eines abstrakten
Ganzen, unterschieden wie die Dinge
Und doch gleich, Dinge neben Dingen
In einem Gespinst unsichtbarer Fäden.

J. W. Rosch
geb. 1967 in Charkiv, lebt in Frankfurt am Main. Gedichte, Prosa, Roman. Bisher bei LLV erschienen: Jokhang-Kreisel. Gedichte und kurze Prosa mit Zeichnungen von Anna H. Frauendorf (2003), Goðan Daginn. Gedichte. Mit Radierungen von Mechthild Mansel (2010).

Schreib einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert