Grundierung : beflecktes Gelände

In Berlin überlebst du dank deiner Gleichgültigkeit

die Museumswächter : ausstaffiert mit prächtigen

Schnurrbärten : weisen dich aufs Absurde hin

schütz deine Gesundheit : indem du vermeidest

 

dich anzulehnen : dich hinzusetzen : zu atmen

die Füße zu lüften : du könntest dir

eine Infektion einfangen : Berliner Marmor

ist sauber : kein Bakterium verendet

 

vor seiner Zeit : du mußt gleichgültig sein

willst du weiterkommen : in der Bahn

mußt du Augen & Ohren schließen : konzentrier dich

auf deinen inneren Film : wenn die Armee

 

der Obdachlosen ihre Straßenzeitung preist

einer schreit & krümmt sich : „Hunger!“ : torkelt

davon : hat wohl einen zuviel auf nüchtern

gehoben : eine gute Idee : trinken wir

 

auf die Nüchternheit : die Gesundheit : die Absurdität

die Dichter verkriechen sich in dunklen Räumen

Licht ist gefährlich : laß uns lieber

diskutieren : wie Poesie Brücken baut

 

zwischen Feinden : die Polizei stürmt

nicht in unser akademisches Kellerverlies : man

läßt uns in Ruhe : ist es nicht schön

in Europa : das dürfen die Chinesen nicht

 

frei sprechen : während die Herrschenden

Beschlüsse fassen : zur Konstruktion neuer

Waffen : Errichtung neuer Zäune : zum Abzug

der Steuern : wir Dichter verzaubern die Welt

 

so schön & lachen : damit wir die Gleichgültigkeit

nicht verlieren : damit wir überleben : damit wir

weiterkommen : die Stadt rauscht pausenlos

du kannst darüber hinweg hören : bis dich das nächste

 

Martinshorn weckt : bleib in den Gärten : die Stadt

pulsiert nicht : sie setzt sich ins Endlose fort

dir erscheint es als Leben : das Jammern

der Dichter über ihren endlichen Wirkkreis : gibt es

 

seitdem es Dichtung gibt : dir zur Freude

stell dir vor : die Dichter könnten überallhin

wirken : wir würden ersticken am Wort

die Gedächtniskirche hörte nicht auf

 

zu läuten : hinter hundert Versen maskiert sich

der Mörder : ich liege im Tiergarten & lausche

dem Rauschen : die Stadt ist mir : was für den Maler

die Grundierung ist : beflecktes Gelände

 

& setze meine Gestalten drauf : Berliner Dichter

laden die Welt ein : in schwarzen Limousinen

fahren sie vor : wie einsam : sie bemerkens nicht

& bleiben unter sich : ich bleibe unbemerkt

 

wie ein Spion erkunde ich Territorien der Sprache

tierisch laut im Garten : umrauscht & löffle

die Suppe aus : in die all die preußischen Wärter & Wächter

ihr Johanneskraut & ihre Brennessel geworfen haben

Alberto Cahier
geb. 1916 in Lissabon, Kindheit in Durban beim Stiefvater, Studium der Literaturwissenschaft in Lissabon, Handelskorrespondent, bisher einzige Veröffentlichung: Die Rolle des Naiven in der Bauernlyrik. Ein Abriß

3 Kommentare

  1. „Tomatensuppe macht unglücklich.“ Wir residieren. In der Niedergangstraße. Die Herrenwelt erkrankt, mit ungerührter Stetigkeit. „Wenn mich ein bleicher Dichter küsste, mich infizierte, schlank und schön…“ ungewöhnlich kunstvoll lebte sie ihre Lüste. Mit einem konstruierten Gefühl, dann mit einem Satz, der die Nabelschnur zwischen ihr und der Wirklichkeit durchtrennte. Sie stieß in fremde Gefilde vor. Dreißig Stunden, fern und unerkannt von der Wirklichkeit mit ihrer gesunden Haut, von der alles abperlte, streifte sie durch die Kellergewölbe ihres Sprachkörpers. Männer in unterkühlten Betten hatten ihr allein dafür eine Altarkerze entflammt.

  2. Der Staat : in blau jetzt statt grün
    hält sich fern : vom Dichter
    wissend : eine Verhaftung
    gebe es ihm zurück : das Wort.

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